Sonntag, 26. Juni 2011

Kaimbr & Kev Brown - The Alexander Green Project


Release Date:
03. Mai 2011

Label:
Redefinition Records

Tracklist:
01. Solid (Feat. Kenn Starr & Sean Born)
02. Gritz
03. Audio Background
04. Firewater (Feat. Cy Young)
05. Hook
06. Rapping (Feat. Sean Born)
07. Songs
08. My Apology
09. Low Budget 260
10. Army Fatigue Rap (Feat. DJ Roddy Rod & Hassan Mackey)
11. The Combination (Feat. Sean Born, Kenn Starr, DJ Marshall Law, Quatermaine, IQ & Hassan Mackey)
12. We Getting On
13. More Gritz (Feat. Asher Roth & The Kid Daytona)
14. Go Green

Review:
Kaimbr bisher noch nicht auf dem Schirm gehabt zu haben ist keine Schande. Aktiv ist er in den Reihen der Jungs von Low Budget (von denen aber eigentlich nur Kev Brown und Kenn Starr bekannt sind), konnte auch schon einige wenige Auftritte landen und war so ganz nebenbei einer der Rawkus-50-Emcees. Er führt also das Dasein eines typischen Emcees aus der dritten Reihe. 2009 dann kommt er auf die Idee zum "Alexander Green Project", das er zusammen mit Kev Brown angeht und das zuerst als EP geplant ist. Ein Label hat sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefunden. Eine gute Zeit später hat sich das geändert und man ist auf Redefinition gelandet, während aus der EP ein ausgewachsenes Album gewordenes ist.

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Was also will einem der Name dieses Albums sagen? Zweierlei: Einerseits heißt Kaimbr mit bürgerlichem Namen Alexander Green und außerdem teilen Kaimbr und Kev ganz offensichtlich eine Liebe für alte Soul-Schinken von Al Green, weswegen die Besonderheit an diesem Album ist, dass alle Samples von Kaimbr's Namensvetter (bzw. dessen Musik) stammen. Wer diese Beschreibung liest, dem kann unweigerlich und eigentlich nur "Selective Hearing Part 2" einfallen, das Kev Brown gut ein Jahr zuvor mit LMNO veröffentlichte und das sich ausschließlich von James-Brown-Samples ernährte, aber keinesfalls die besten Werke aus Kev's Karriere beherbergt. Andererseits war der Reifeprozess von hiesigem Album wesentlich länger und es stellt sich schnell heraus, dass sich das "Alexander Green Project" doch ein wenig besser anfühlt als die zweite "Selective Hearing". Bei dem nicht unendlichen Repertoire aus Samples lässt es sich nicht vermeiden, dass Kev und Kaimbr dem geschulten HipHop-Ohr das eine oder andere bekannte Sample vorsetzen, doch insgesamt verrichtet Kev einen recht guten Job dabei, eine eigene Atmosphäre zu schaffen, sodass man sich nicht fühlt, als hätte man all das schon mal gehört. Lediglich "Low Budget 260" erweist sich als in jeder Hinsicht unterlegene direkte Kopie des Ghostface-Songs und ist damit recht überflüssig. Ansonsten ist die LP genau das, was sie wahrscheinlich sein möchte: eine entspannte Audioreise, die den Geist von Al Green atmet. Heiß her geht es kein einziges Mal, die enormen Kopfnickerqualitäten von "Gritz" sind da schon das höchste der Gefühle. Doch das war schon immer so bei Kev Brown und wird wohl auch immer so bleiben. "Classics right here" proklamiert er selbst, und auf das durch Al Green induzierte Gefühl trifft das durchaus zu, nur die Songs selbst sind nichts, was einen vom Hocker reißen würde. Vor allem der Anfangsteil mit Tracks wie "Firewater", "Solid" und "Audio Background" ist schön anzuhören und im Gegensatz zu nicht wenig anderem Backpack-Rap nicht langweilig, aber eher als Hintergrundmusik geeignet. Achja, und dann ist da ja noch Kaimbr, den man fast vergisst, denn von sich aus tut er nicht viel, um hervorzustechen. Das ist nicht unbedingt sein Fehler, er klingt sowohl stimm- als auch flowtechnisch einfach sehr undifferenziert, obgleich er eine sehr anständige Figur über die Beats macht und in Tracks wie "My Apology" mit ein wenig persönlichem Drama überzeugt. Ansonsten hält sich das Duo (Kev greift zu einigen Gelegenheiten selbst zum Mic) mit tiefgehendem Kontext zurück, Songs wie "Rappin'", "Army Fatigue Rap" oder "Songs" deuten das schon an. Was hier zählt ist die Harmonie zwischen Beats und Raps. Ein inhaltliches Highlight ist "Hook", in dem Kaimbr in Piratenjargon verfällt. "More Gritz" und "The Combination" bringen mit ihren Gästen Abwechslung ins Spiel, in "We Gon' Go" findet sich dann noch ein smoother Track, der perfekt ans Ende der LP gepasst hätte.

Besonders viel zu kritisieren gibt es nicht an diesem Album, die Phrase "runde Sache" trifft bestens zu. Doch wo Kaimbr und Kev in Sachen Geschlossenheit und Sound-Kohärenz ihre Stärken haben, fehlen ihnen auf der anderen Seite die echten Highlights, die sich auch dauerhaft vom Rest abzusetzen wüssten. Wer Kev's beste Arbeiten kennt, der weiß, dass die Vereinigung dieser zwei Punkte durchaus möglich ist. Betrachtet man das "Alexander Green Project" nun als Kaimbr's Debüt (sei es nun solo oder nicht), so muss man trotz solider Vorstellung zu dem Schluss kommen, dass er es in diesem Leben wohl nicht zu mehr als einem der unbekannten Jungs aus der Low-Budget-Crew schaffen wird. Deshalb lautet das Urteil über "The Alexander Green Project": Vor allem der, der Low Budget und Beats von Kev Brown schätzt, macht nicht viel verkehrt, angenehme Minuten sollte jeder finden, den ganz großen Wurf dagegen niemand erwarten.

6.0 / 10

Neek The Exotic & Large Professor - Still On The Hustle


Release Date:
17. Mai 2011

Label:
Fat Beats Records

Tracklist:
01. Still On The Hustle (Feat. Large Professor)
02. New York
03. Guess Who (Feat. Large Professor)
04. Street Rebel (Feat. Joell Ortiz)
05. Stack That Cake
06. Hip Hop
07. Main Event
08. My Own Lane
09. Head Spin
10. Personal Freak
11. Toast Tonite (Feat. Large Professor, Fortune & Satchel Page)

Review:
Neek The Exotic war bisher bezüglich des Verlaufs seiner Karriere nicht unbedingt der glücklichste, wenn man bedenkt, dass er heute einer der Künstler sein könnte, die - statt dem wenig beachteten "Exotic's Raw" aus dem Jahr 2003 - dank eines zur richtigen Zeit (Mitte der Neunziger, wo er jedoch einsaß) gedroppten Albums zu den Namen gehören könnte, die schnell nach den ganz großen Acts dieser Ära fallen. Doch nicht nur war das Debüt nicht der erhoffte Erfolg, danach ging es auch erstmal wieder ab in die Versenkung, aus der der Emcee, der wie Nas seinen ersten Auftritt auf einem Main-Source-Track hatte, selbst für Gastauftritte praktisch nicht auftauchte. Seine zweite Chance scheint er 2010 zu bekommen, als er sich wieder einmal mit dem Kindheitsfreund Large Pro zusammentut und man "Exotic Species" auf Traffic veröffentlichen will. Nachdem es zuerst den Anschein hat, als sei dieses Album dazu verdammt, in irgendwelchen Schubladen zu verstauben, finden Neek und LP mit Fat Beats ein neues Label und veröffentlichen das Albums als "Still On The Hustle" und mit einigen Änderungen.

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Wie sich herausstellt sind diese Änderungen erfreulich, denn wo die Tracklist zu "Exotic Species" noch einige ältere, bereits bekannte Tracks aufwies (als Beispiel sei hier die '99 veröffentlichte Single "Turn It Out" genannt), ruft "Still On The Hustle" elf neue Tracks auf den Plan. Das ist immer noch nicht die Welt, doch solange die Qualität stimmt sollte es keinen Grund zur Beschwerde geben. Das Albumcover gaukelt zwar ein gleichmäßig aufgeteiltes Kollaboalbum vor, doch im Prinzip hat man doch ein Neek-Solo vor sich, bei dem Large Pro mit sechs Beats und drei Auftritten beiträgt. Den Rest der Produktion machen Newcomer Carnage, Marco Polo und Lord Finesse unter sich aus. Was dieses Album bietet sollte nicht schwer zu erraten sein: HipHop-OG-Talk, Hervorhebung der eigenen Dopeness und ganz allgemein die Info, dass man (auch wenn die letzten Jahre das Gegenteil suggerierten) immer noch durchs Game hustelt. Neek ist zwar nicht mehr als einer von vielen Emcees, doch seine lockere Art und seine unbekümmerten, oft schwer amüsanten Punchlines zeichnen ihn schon seit Jahren aus und sind logischerweise auch hier mit von der Partie. Extra P ist als Faktor außerdem keinesfalls zu vergessen, denn der Veteran ist nicht nur für die besten Beats der LP verantwortlich, ein Track wie "Street Rebel" geht immer noch so gut ab, dass man Augen macht. Wo so viele andere Produzenten Probleme haben, den typischen BoomBap-Sound heutzutage noch attraktiv zu verpacken, zaubert P einen relaxten Kopfnicker wie "Guess Who" so unbeschwert aus dem Hut, als wäre es das einfachste der Welt. Dass die Inhalte nicht über das Standardprogramm hinauskommen, stört dabei überhaupt nicht: ein kleiner und feiner Track für die Ladies ("Personal Freak") hier, eine Huldigung an "Hip Hop" dort und massenhaft Street-Talk. Wie es in "New York" zugeht, kann nie oft genug erzählt werden, wobei der Track in erster Linie zeigt, dass man auf Carnage hätte verzichten können, zumal dessen zweiter Beitrag ("Stack That Cake") den Tiefpunkt der Platte ausmacht. Im Grunde hätte man sich komplett auf Large Pro verlassen können, denn der in die Vergangenheit zurückblickende Titeltrack ist ebenso treffsicher wie das prächtige "Head Spin". Dazwischen überzeugt auch Marco Polo mit "My Own Lane" (in dem nochmal betont wird, wie Neek's Hustler-Leben so aussieht), bis in "Toast Tonight" der sehr harmonische Abschluss hereinschlenkert, für den man die Street-Attitüde dann kurz beiseite legt und in gemütlicher Atmosphäre auf die erwirtschafteten Moneten anstößt.

Eine experimentelle Party ist "Still On The Hustle" nicht gerade, doch wer ein aufregendes Album voller Überraschungen sucht und dann hier landet, der hat sowieso irgendetwas gänzlich falsch gemacht. Gewissermaßen hat man es mit einer Fortsetzung dessen zu tun, was es schon auf Large P's 2008er "Main Source" zu hören gab: New Yorker Schule mit großem Retro-Faktor, die trotzdem nicht entrückt oder verloren wirkt. Dafür sollte Neek seinem Paten danken, denn ohne P's instrumentales Fundament würden die wenig aufregenden, aber trotzdem Spaß machenden Raps des Emcees aus Flushing nicht funktionieren. "Still On The Hustle" weckt noch einmal Bedauern, dass es kein Album von Neek und LP aus den Mittneunzigern gibt, für eine Scheibe aus dem Jahr 2011 ist dieses Machwerk allerdings eine erfreuliche Abwechslung zu den vielen langweiligen Kollegen in der BoomBap-Arche.

6.8 / 10

Vakill - Armor Of God


Release Date:
05. Juli 2011

Label:
Molemen Records

Tracklist:
01. Intro
02. Hi Ate Us
03. Armor of God
04. Mean Mug Muzik
05. Sick Cinema
06. Heavy
07. Endless Road (Feat. Vizion)
08. The Apology
09. Wild Wild
10. Beast Ballad (Feat. Crooked I, Rhymefest, Juice & Nino Bless)
11. Appetite To Kill
12. You Don’t Know (Feat. Astonish)
13. I Came for U
14. Armorgeddon
15. A Lynched Legacy
16. Bi-Polar
17. Proof

Review:
Wer sich mit HipHop aus Chicago beschäftigt und nicht gerade auf Gangsta-Rap schwört, der sollte die Molemen kennen, und wer die Molemen kennt, der sollte auch deren bestes Pferd am Mic kennen: Vakill hat bisher nur zwei Studioalben auf dem Konto und genießt trotzdem einen Respekt, von dem andere Rapper nur träumen. Ein Grund dafür ist vielleicht, dass Vakill sich nie darin erging, überall präsent zu sein und auf jeder Party zu tanzen. Genau genommen hat man seit seinem letzten Album aus dem Jahr 2006 wenig bis streckenweise gar nichts von ihm gehört. Dass ein Nachfolger mit dem Titel "Armor Of God" unterwegs sei, wusste man die ganze Zeit, doch ob sich dieses Album (nachdem es anfangs zugunsten anderer Molemen-Künstler nach hinten verschoben wurde) je materialisieren würde, war nicht einmal klar, als 2009 die Tracklist im Netz erschien. 2011 also ist es soweit und Vakill muss sich den inzwischen beträchtlichen Erwartungen stellen.

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Zugegeben, "Worst Fears Confirmed" war trotz Molemen-Produktion schon nicht mehr so gut wie das Debüt, es besteht also durchaus die Gefahr, dass hier ein weiterer Rapper offenbart, dass seine Zeit vorbei ist. Vakill selbst sieht das natürlich ganz anders, und man muss nicht lange in das Album hineinhören, um bestätigen zu können, dass dem Mann der Hunger am Mic definitiv noch nicht verlorengegangen ist. Wie auf den beiden vorigen Alben ist auch hier Panik der präsenteste Produzent und da Memo nur ein einziges Mal zu vernehmen ist und die Molemen somit weniger als zwei Drittel der Beats beitragen, fassen die Credits noch weitere Namen: Jake One, Bluntologist und Joe Blow sind bestrebt, Vakill den harten Chicagoer Street-Sound zu schmieden, der seiner mächtigen Stimme und Mic-Gegenwart am ehesten gerecht wird. Doch zuerst gibt es ein titelerklärendes "Intro", in dem Vakill hintergangen, erschossen und beerdigt wird, um dann vor der Himmelspforte vom Allmächtigen in dessen Dienst genommen und - ausgerüstet mit der "Gottesrüstung" - wieder nach unten geschickt zu werden. Ein irgendwie amüsantes, wenn auch etwas hochtrabendes Intro, dem selbst Vakill nicht gerecht werden kann, denn wenngleich sein Drittling wieder Battle-Rap vom Feinsten sowie einige schön konzipierte Tracks mit reichlich Straßenweisheit beinhaltet, ist für ein Album in Gottes Auftrag alles unter fünf Kronen inakzeptabel - und ein Klassiker ist "Armor Of God" sicherlich nicht, obwohl man sich wirklich bemüht: Tracks wie "Mean Mug Muzik" zeigen Vakill von seiner Schokoladenseite und geben dem harten, Gang-besetzten Pflaster Chicagos einen Soundtrack. Die Devise "Want some positive shit? Motherfucker, play Lupe!" wird in nicht wenigen Tracks umgesetzt, wobei auch ein Jake One im gerade zitierten Titeltrack den richtigen Ton trifft. Trotzdem kommt man nicht umhin zu bemerken, dass (wie schon auf "WFC") die Drumlines selten noch so hart zuschlagen wie in den "Forever"s von früher. Doch Vakill macht das Beste aus der Situation, in Stücken wie dem herrlich staubtrockenen Throwback "Appetite To Kill" oder Jake's "Armorgeddon" läuft er zu Hochform auf, "Hi Ate Us" lässt erst einmal kurz und sehr dezent Ennio Morricone einlaufen, um dann mit beinhartem Beat (und natürlich einem gefährlich spittenden V) hinterherzufeuern. Dann wären da ja auch noch die themenbasierten Stücke, beispielsweise "The Apology", für das Vakill in die Rolle eines vor seiner Hinrichtung stehenden Gang-Lords schlüpft und dessen reuevolle letzte Worte ausformuliert ("I made signs and colors for you to acknowledge me / I never meant to hurt the hood, this is my apology"). "A Lynched Legacy" ist ein akzeptabler (schon etwas zu oft behandelter) Ausflug in die Geschichte der Afroamerikaner und vor allem dank Memo's Beat hörenswert, "Bi-Polar" zählt gekonnt auf, wo Liebe und Hass sich Nachbarn nennen ("Gangsters need love too, just hate when you notice / [...] / Y'all niggas love runnin' up in ass, but hate the strings attached to it"). Bei aller Freude haben sich leider auch ein paar Lückenfüller ins Lineup gemischt: Ausgerechnet "Beast Ballad" fährt einen für die Gäste unpassenden Beat auf, "Sick Cinema" hat trotz ansehnlicher Thematik zu wenig zu bieten und für "I Came 4 U" gewinnt Panik diesem Piano-Sample viel zu wenig Energie ab (man höre im Vergleich Obie's "On And On").

Sein Minimalziel hat Vakill auf jeden Fall erreicht, zudem konnte er zeigen, dass er immer noch zu Chicagos Oberschicht gehört und dass man besser nicht in seinem Weg stehen sollte, wenn er mal loslegt. Die Wahl der Produzenten ist ebenfalls keine schlechte, zumal die schwächsten Produktionen allesamt auf Panik zu schieben sind. Trotzdem funktioniert Vakill noch hervorragend mit (den richtigen) Molemen-Beats. Bei diesem Thema kann man dem Album natürlich vorwerfen, dass die Hardcore-Fraktion der LP getrost noch ein wenig mehr Gas hätte geben können, denn bitterböse Kracher à la "Darkest Cloud" wird man auf "Armor Of God" nur sehr bedingt finden. Aber man sollte sich einfach mit dem, was ist, zufriedengeben, denn "Armor Of God" kann ohne Weiteres mit "WFC" mithalten und wird Ende 2011 zu den besseren (und mancherorts sicher zu den besten) Scheiben des Jahres gerechnet werden.

6.7 / 10

Tyler, The Creator - Goblin


Release Date:
10. Mai 2011

Label:
XL Records

Tracklist:
01. Goblin
02. Yonkers
03. Radicals
04. She (Feat. Frank Ocean)
05. Transylvania
06. Nightmare
07. Tron Cat
08. Her
09. Sandwitches (Feat. Hodgy Beats)
10. Fish / Boppin' Bitch
11. Analog (Feat. Hodgy Beats)
12. Bitch Suck Dick (Feat. Jasper Dolphin & Taco)
13. Window (Feat. Domo Genesis, Frank Ocean, Hodgy Beats & Mike G)
14. AU79
15. Golden

Review:
Was wäre die HipHop-Welt schon, wenn nicht hin und wieder ein Künstler bzw. ein neuer Stil von den meinungsmachenden Medieninstanzen zum neuen Trend gepusht würde, der dann selbige HipHop-Welt in Anhänger, schimpfende und das Genre für degenerierend erklärende Gegner sowie die Geschichte gleichgültig aussitzende Desinteressierte teilt. Hier präsentiert sich der jüngste Trend, kurz aufsummierbar als OFWGKTA (Odd Future Wolf Gang Kill Them All). Der Kopf dieser Bande aus L.A., deren Mitglieder um die 20 Jahre alt sind, nennt sich Tyler, The Creator. Und da er es nicht gerne hat, wenn man OFWGKTA so behandelt, als seien sie von heute auf morgen auf der Bildfläche erschienen, sei erwähnt, dass die Truppe schon seit 2007 Musik macht und dass Tyler mit 17 Jahren und Ende 2009 sein Debüt "Bastard" veröffentlichte, welches dann maßgeblich dazu beitrug, dass sich über das Jahr 2010 von Blog zu Blog langsam aber sicher ein Hype aufbaute. 2011 steht er bei XL Records unter Vertrag und wappnet sich für seinen Zweitling, "Goblin".

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Wer schon früh auf den Trend-Zug aufgesprungen ist, der weiß bereits, was die OFWGKTA musikalisch so treibt und wieso sie mancherorts so gepriesen wird; für den Großteil der Hörerschaft wird jedoch (wenn überhaupt) "Goblin" die erste Auseinandersetzung mit einem Album aus diesem Kollektiv sein, wenngleich einige Dinge, die hier zu hören sind, Kenntnis des älteren Materials, welches großteils zum kostenlosen Download auf der eigenen Bandseite bereitgestellt wird, fordert. Doch schön der Reihe nach: Tyler, The Creator ist in gewisser Hinsicht wohl kein zu ungewöhnlicher schwarzer Teenager aus L.A., der in seiner Crew gewisse Umgangstöne und Ausdrücke (die sich durch ihre besonders unverfrorene und verkommene Art hervorheben) pflegt und diese in seine Musik importiert. Außerdem besitzt er ein Stimmorgan, das mit seiner überraschenden Tiefe schnell im Gedächtnis bleibt, weswegen die unspektakuläre technische Vortragsweise nicht groß stört. Noch eigener ist allerdings der Sound der Truppe, der vom Einzug von Electronica-Einflüssen in die HipHop-Szene geprägt ist, in seiner Machart aber weder der Sanftheit eines KiD CuDi noch dem Wesen irgendwelchen Hipster-Gelumps ähnelt. Tyler klingt hart, roh und findet genau so seine ganz eigene Lichtung zwischen der überwiegenden Austauschbarkeit populären HipHops. "Goblin" ist außerdem ein sehr persönliches Album, was aber mehr an der Tatsache liegt, dass Tyler sich nicht mit anderen Dingen beschäftigt als den kranken Gedanken, die er in den Kreisen der OFWGKTA aufkocht, sowie dem, was sein Leben gerade bewegt. In letzterer Kategorie hat sich mit zunehmendem Ruhm eine neue Sparte gebildet, in der Tyler sich mit dem Bild, das die Welt von ihm hat, beschäftigen kann. Genau das tut der eröffnende Titeltrack "Goblin", der als Unterhaltung mit dem schon aus "Bastard" bekannten Therapeuten Dr. TC aufgezogen ist. Über einen langsamen, schleppenden Beat stellt sich Tyler in knappen sieben Minuten vor, befasst sich mit dem ungewohnten Ruhm, dem Rampenlicht, das ihn mehr als seine Crew-Kollegen trifft, den Medien, die seine Musik falsch kategorisieren und ihm den Erfolg nicht vergönnen, um dann zu dem Ergebnis zu kommen, dass sich die ihn verurteilende Umwelt doch bitte gepflegt selbst ficken soll. Der Song funktioniert erstaunlich gut, ebenso wie das schnarrende "Yonkers", eine mit Widersprüchlichkeiten vollgepackte Auseinandersetzung zwischen Tyler und seiner erfundenen zweiten Persönlichkeit Wolf Haley, die im Übrigen als Regisseur zum zugehörigen Video gelistet ist. Textlich wird sehr schnell klar, dass Tyler gerne aneckt ("Oh, not again! Another critic writing report / I'm stabbing any blogging faggot hipster with a Pitchfork") - B.o.B und Bruno Mars wird mal ebenso nebenbei der Tod gewünscht, den Terminus faggot gebraucht man so intensiv wie die deutsche Jugend das sinnentfremdet genutzte "schwul". Darüber hinaus scheint es in der OFWGKTA gang und gäbe zu sein, Vergewaltigungs-Witze zu reißen. Dass Tyler für derartige Äußerungen schon auf "Bastard" (vollkommen zu Recht) kräftig Kritik erntete, verwundert kaum, dass er dann aber die Notwendigkeit sieht, Songs wie "Radicals", das in der Hook mit einem plumpen "Kill people! Burn shit! Fuck school!" um sich wirft, dadurch zu entkräften, dass alles Gesagte nur Fiktion sei, zeugt davon, dass ihm wohl doch nicht alles scheißegal ist, wenngleich später die (auch diesmal weder lustigen noch sinnvoll eingesetzten) Vergewaltigungs-Phantasien wieder aufgegriffen werden. Der Kern dieser Provokationen sei, das zu sagen, was einem in den Sinn komme und auf Konventionen nichts zu geben. Das wird nun jedem unterschiedlich gefallen, in jedem Fall hat "Goblin" nüchtern betrachtet einen teils sehr hörenswerten, aber doch recht geringen lyrischen Nährwert, der erst dann aufgebauscht wird, wenn popelige Redakteure anfangen, ihre Interpretations(un-)fähigkeiten ins Spiel zu bringen. Das ließe sich alles problemlos verkraften, und anfangs ist das Album gerade durch seine Disparität, den Minimalismus der Beats und seine skandalöse Art schwer interessant: Das düstere "Transylvania" macht ebenso Spaß wie das ordentlich auf die Kacke hauende "Tron Cat" ("Wolves, I know you heard of us, we're murderous / And young enough to get the fucking priest to come and flirt with us") oder "She" und "Her", die Tyler's Interaktionen mit Frauen thematisieren und sogar eine Spur Sympathie wecken. Doch ungefähr mit dem Einsetzen von "Boppin' Bitch" erschöpft sich die Masche: Der farblose, sexistische Track wird nur noch vom miserablen "Bitch Suck Dick", in dem Tyler seine OFWGKTA-Kollegen Jasper und Taco nach unterirdisch schlechten Auftritten zu Recht erschießt, überboten. Ein Song wie das ohnehin träge "Window" stellt sich durch seine ermüdende Überlänge vollkommen ins Abseits, im instrumentalen "Au79" passiert zu wenig Sinnvolles und "Golden", das Ende der Session mit Dr. TC ("I miss the days when this was fun, but now it turned into work / And getting legal, so now I got to watch the shit that I blurt out"), kann sich schlussendlich trotz gelungener Auflösung des Therapie-Konzepts nicht mehr genug vom Rest absetzen.

Es wäre sicher interessant zu analysieren, was dazu geführt hat, dass genau Tyler und seine OFWGKTA von kompletten Niemanden zum nächsten großen Trend avancierten, nun stellt sich allerdings die Frage, ob sich dieses Phänomen dauerhaft etablieren kann oder ob es sich zu den vielen Eintagsfliegen gesellt. Gut möglich wäre das schon, denn bereits "Goblin" hat in seiner zweiten Hälfte starke Probleme mit Variationsarmut auf instrumentaler Ebene. Dazu kommen die Lyrics, die man schnell überrissen hat: Die als kaputt inszenierte und dabei doch recht normale Person Tyler kennt man inzwischen, auch die Pöbeleien und provokant Richtung Hörer geworfenen Tabuthemen (die teils einfach daneben sind und denen sowieso kein tieferer Sinn zugrunde liegt) werden in Zukunft (hoffentlich) keine kompletten Alben füllen. Tyler sollte sich also überlegen, wie er sich und seine Stimme auch weiterhin gut einsetzt, denn mit seinen Skills am Mic gewinnt er keine Blumentöpfe. All dem zum Trotz macht "Goblin" streckenweise gehörig Spaß, ist am Stück aber zu fehlerbehaftet und anstrengend. Tyler und die OFWGKTA sollten schlichtweg als das betrachtet werden, was sie sind: ein sittenloses Pack Jugendlicher, das sich genau so aufführt. Das ist weder tiefgründig noch weltbewegend und - wenngleich nicht schlecht - sicherlich keinen riesigen Hype wert.

5.0 / 10

Hail Mary Mallon - Are You Gonna Eat That?


Release Date:
05. Mai 2011

Label:
Rhymesayers Entertainment

Tracklist:
01. Church Pants
02. Garfield
03. Grubstake
04. Meter Feeder
05. Smock
06. The Poconos
07. Breakdance Beach
08. Table Talk
09. Mailbox Baseball
10. Holy Driver
11. Knievel
12. Plagues and Bacon

Review:
2009 gibt auf dem vierten Teil der Def-Jux-Sampler-Reihe ein neuer Zusammenschluss sein Debüt und nach der anfänglichen Frage, was und wer denn Hail Mary Mallon sei, stellt sich die Gruppe als Aesop Rock, Rob Sonic und DJ Big Wiz vor - drei Künstler aus der gleichen Ecke des HipHop-Universums, die schon seit Jahren miteinander gearbeitet haben. Ein Album gibt es so schnell dann aber nicht, die Gruppe gibt zwar hin und wieder Lebenszeichen von sich, doch mit dem Def-Jux-Exil wurde sie von den meisten wohl wieder vergessen. Doch die drei finden bei Rhymesayers eine ebenbürtige neue Heimat, nehmen weiter Material auf und können 2011 dann schließlich - sehr zur Freude der Underground-Szene - die Veröffentlichung des Debütalbums, "Are You Gonna Eat That?", vermelden.

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An dieser Stelle könnte man noch die (auf dem Cover schon treffend illustrierte) Geschichte über Mary Mallon erzählen oder sich fragen, was die Jungs an der Ironie dieser Geschichte so sehr begeistert, dass sie ihre Gruppe nach der Dame benennen, doch genau genommen sollte man sich bei Personen wie Aesop Rock eine solche Frage gar nicht erst stellen, ebensowenig wie man überrascht sein sollte. Wer "D-Up", das Stück auf Def Jux's "IV", schon gehört hat, den sollte es außerdem kaum verwundern, was Hail Mary Mallon auf ihrem (recht kurzen) Album praktizieren: Die von Aesop Rock geschusterten und von Big Wiz verzierten Beats spielen irgendwo zwischen typischer Underground-Attitüde und post-Jux'schem Freigeist. Alles beim Alten also, nur dass Hail Mary Mallon fraglos nach 2011 klingen. An dieser Stelle könnte man dann fast schon aufhören und den Hörer einfach dazu auffordern, selbst zu hören, denn wirklich besonders ist das Release etwa für Aesop's Maßstäbe nicht - und wo das bei anderen Künstlern ein höchstens durchschnittliches Release verhieße, bedeutet es an dieser Stelle schlichtweg, dass auf durchgehend gutem Niveau das passiert, was man aus dieser Ecke kennt. Aes Rock und Rob Sonic sind außerdem ein sich recht gut ergänzendes Duo, da Rob mit seiner wesentlich unkantigeren Performance einen passenden Gegenpol darstellt. Gerappt wird wie üblich über alles und nichts, immer verpackt in komplexe Satz- und Ellipsenkonstrukte, an vielen Stellen sehr undurchsichtig gewoben und an einigen mit kurzen, deutlichen Statements gespickt. Wie so oft macht es dabei viel mehr Sinn, das Album am Stück durchzuhören, denn Standout-Tracks sind nicht unbedingt das, womit HMM punkten. Dafür macht sich in dem Moment, in dem "Church Pants" hereinschwappt, eine dichte Atmosphäre breit, die von Aesop Rock über das ganze Album hinweg mit lebendigen Percussions und regem Gitarreneinsatz gefüttert wird. Beständigkeit ist eine große Stärke des Projekts, denn zu keinem Punkt läuft einer der drei Künstler neben der Spur, kein einziger Track ließe sich als Schwachpunkt ausmachen. Trotzdem ist der Ersteindruck etwas ernüchternd, denn als Grower entfaltet sich diese Scheibe nicht sofort, während Tracks wie "Mailbox Baseball" auch nur im Kontext der LP Sinn (und wesentlich mehr Spaß) machen. Die Überbretter fehlen also, einige kleine Highlights hat die Scheibe dann aber doch: "Meter Feeder" heizt munter durch die Boxen und auch "Plagues And Bacon" lässt sich nicht zweimal bitten, greift nochmal das Albumtitelthema auf ("Mary don't fuck with the cake today") und besticht vor allem durch das ordentliche Tempo, mit dem die ohnehin starken Rhymes der beiden Emcees sich gegenseitig jagen. Ein weiterer erfreulicher Aspekt ist nämlich, dass Aes und Rob ihre Parts nicht jedes Mal stur hintereinanderschalten, sondern nicht selten attraktives Passspiel betreiben - so macht "Smock" zusätzlichen Spaß. Wenn man intensiv nach Schwachpunkten der LP sucht, dann mag man den beiden mit Retro-Charakter behafteten Stücken "Grubstake" und "Breakdance Beach" vorwerfen, nicht genug in die Restatmosphäre zu passen, doch das war's dann praktisch schon. Positiv tun sich des Weiteren noch das schön schwere, sperrige "Garfield" sowie "Holy Driver" mit einer titelgemäßen Themenprojektion hervor.

Da Hail Mary Mallon sogar mit dem Wertungsfazit recht weit entfernt von der Norm spielen, ist die Gruppe sicherlich nicht für jedermann gedacht. Wo andere Scheiben viel Mittelmaß und einige sehr gute und behaltenswerte Songs im Gepäck haben, befindet man sich hier auf einem Niveau, das eine erstaunlich geringe Varianz aufweist, konstant hoch, aber nie herausragend ist. Dieses Album ist aus einem Guss und sollte deshalb auch am Stück gehört werden. Es ist nicht das beste Material, das Aesop Rock je veröffentlicht hat, doch seine große Fanbase wird zweifelsohne Gefallen am Zusammenspiel mit Rob Sonic finden. Big Wiz komplettiert das Bild, womit "Are You Gonna Eat That?" für all jene gemacht ist, die bisher mit Leuten aus der Def-Jux-Ecke und den hier agierenden Akteuren im Speziellen sympathisiert haben.

6.6 / 10

Vast Aire - Ox 2010: A Street Odyssey


Release Date:
31. Mai 2011

Label:
Man Bites Dog Records

Tracklist:
01. Intro: Ox 9000
02. Nomad
03. Almighty Jose (Feat. Karniege)
04. The Man Of Steel
05. I Don't Care (Feat. Cappadonna)
06. 2090 (So Grimy) (Feat. Double A.B.)
07. Phenom
08. Horoscope
09. The Cannon Of Samus (Feat. Kenyattah Black)
10. Dark Matter (Feat. Space)
11. Merry Go Round
12. Thor's Hammer (Feat. Raekwon & Vordul Mega)
13. Spy Vs. Spy
14. The Verdict (Feat. Guilty Simpson)
15. Battle Of The Planets (Feat. Genesis)

Review:
Inzwischen ist auch Vast Aire in der normalen HipHop-Welt angekommen und einer von vielen Künstlern, die durch eine rege Feature-Präsenz nie ganz aus dem Blick des Konsumenten verschwinden. Das soll weder als schlecht noch gut gewertet werden, es ist wohl eher eine unausweichliche Begebenheit - da wundert es auch nicht, dass er nun (während der einstige Arbeitgeber El-P sein Label auf Eis gelegt hat) bei Man Bites Dog angeheuert hat (ein irgendwann nach "Dueces Wild" geplantes Mixtape namens "The Great Adventures Of Vast Aire" erblickte nie das Licht der Welt), einem noch recht frischen Label, zu dessen Hintermännern Vast allerdings schon seit 2005 Kontakte unterhält und mit dem u.a. schon 2007 für den "Monster"-Sampler gearbeitet wurde. Eine Empfehlung des ebenfalls dort gesignten Copywrite besiegelt die Sache dann und mit dem neuen Label kommt in der Form von "Ox 2010: A Street Odyssey" auch ein neues Album.

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Der Titel spielt auf zwei verschiedene Dinge an: Einmal wäre da Stanley Kubrick's Film, der unter Umständen ein Konzeptalbum nahelegt, was sich jedoch als falsche Vermutung herausstellt. Die zweite, noch offensichtlichere Anspielung wirft schnell die Frage auf, was Vast mit der Nennung des Duos, das ihm dorthin verholfen hat, wo er heute steht, erreichen will. Dafür gibt es eine einfache Antwort: Da der Status von Can Ox immer noch nicht klar definiert ist und ein eventuelles weiteres Album nur dann zustandekommen wird, wenn sich Vast und Vordul (die sich immer noch bestens verstehen) zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Stimmung befinden, nutzt Vast die Kraft dieses Namens für seine Solozwecke, denn: "When you see me, you see Cannibal Ox". Was genau hat man dann also von dieser Scheibe zu erwarten? Ähnlich wie bei den letzten beiden Soloalben (das Projekt mit Mighti Mi nicht mitgerechnet) ist die Gästeliste bunt, die Produzenten (die Verantwortlichen sind neben MBD-Inhouse-Producer Kount Fif der LXG-Kollege Thaons sowie Ayatollah, J-Zone und Harry Fraud) stehen ebenfalls für verschiedenste Stile. Das naheliegende Problem der fehlenden Geschlossenheit, das schon die beiden Vorgänger plagte, wird damit auch auf "Ox 2010" nicht geflickt. Wer einen roten Faden sucht, der wird sich außerdem schwertun, denn im Alleingang graste Vast auf lyrischer Ebene seit jeher weite Flächen ab und tut das auch weiterhin - wilde Metaphern und das für ihn so typische Braggadocio bestimmen das Geschehen. Das Intro weckt noch anderweitige Hoffnung, und es gab schon wesentlich langweiligere Einstiege als diese Interpretation aus dem namensgebenden Film (ein Dialog mit dem OX 9000, in Anlehnung an den HAL 9000). "Nomad" ist dann allerdings schon wieder gutbürgerlich und ohne große Überraschungen seitens Kount Fif. Niemand verlangt einen ebenbürtigen El-P-Ersatz, doch Vast ist ein Emcee, der auch (bzw. vor allem) aus sperriger Kost großartige Tracks zaubert. Doch jene, die solche Tracks besorgten, machten sich ja schon auf dem Debüt rar. Langweiligen Standard bekommt man trotzdem nicht vor Ohren geführt, Tracks wie "The Cannon Of Samus" bemühen sich redlich um kreative Impulse, bleiben aber meistens in ihren Ansätzen stecken. So wird man auf der LP viele solide und durch Vast aufgewertete Tracks finden, die Highlights sind aber ganz rar gesäht: "Dark Matter" ist eher smooth gehalten, aber trotzdem ein Volltreffer mit schönem Einsatz von Vast. Der ist übrigens immer noch in Bestform unterwegs und flowt mit seinem eigenen Stil und seinem persönlichen NY-Slang wie eh und je. Das hilft auf Tracks wie dem missratenen "2090" (grauenhafte Hook) allerdings auch nicht viel, während ein Stück wie "The Man Of Steel" einfach etwas zu altbacken für Vast klingt. Ein smoothes und irgendwo stilvolles Liebeslied gibt es in "Horoscope", weitere positive Momente mit Karniege oder mit Cappadonna (dessen Nonsense-Slang erstaunlich gut zu Vast passt) in Kount Fif's "I Don't Care" zu hören. Auch das Ayatollah-produzierte "Verdict" mit Detroit's wohl gefragtestem Feature-Rapper ist nicht verkehrt, ebenso wie der schon länger bekannte Diss Richtung Cage ("Battle Of The Planets"); nur von den Socken haut einen keiner dieser Tracks. Das schafft lediglich "Thor's Hammer", das glücklicherweise die besten Gäste und den besten Beat vereinigt: Im unscheinbar-melancholischen Sound-Gerüst flowt Raekwon routiniert stark, während ein Vordul Mega solche Tracks sein Zuhause nennt, deshalb an dieser Stelle perfekt gewählt ist und weitere verbitterte Lines über das harte Dasein auf diesem Planeten vom Stapel lässt, welche die beiden vorangegangenen, ohnehin hörenswerten Auftritte bestens abrunden.

Man könnte meinen, Vast habe aus seinen bisherigen Solobemühungen gelernt, doch irgendwie wird das durch dieses Release nicht wirklich belegt: Er selbst ist am Mic immer noch eine Instanz und vor allem ein Unikat, das vielleicht nicht mehr so prägnante Lines wie früher aufeinanderstapelt, das aber immer noch zu den unterhaltsamsten Emcees des Genres zählt. Bei der Wahl seiner Produzenten zeigt sich allerdings ein recht ähnliches Bild wie bei "Dueces Wild": Dieser Sound wird ihm zu oft einfach nicht gerecht. Das resultiert in meist sehr akzeptablen Songs, aber fast nie in dicken Höhepunkten. "Ox 2010" zeigt gute Ansätze und ist zum Glück auch nicht so langweilig und gleichgeschaltet wie viele andere Scheiben, durchgehend gut ist es aber auch nicht.

6.2 / 10

Vast Aire - Look Mom.. No Hands


Release Date:
27. April 2004

Label:
Chocolate Industries

Tracklist:
01. Intro (His Majesty's Laughter)
02. KRS-Lighty (Feat. S.A. Smash)
03. Peagusus
04. Candid Cam (Live Wetlands 1996) (Feat. Karniege)
05. Viewtiful Flow (Feat. Nathaniel Roberts)
06. Zenith (Feat. Blueprint)
07. Why'sdaskyblue? (Feat. Metro)
08. Da Supafriendz (feat. MF Doom)
09. Poverty Lane 16128 / Karaoke
10. Elixir (feat. Sadat X & Sinclair)
11. Look Mom... No Hands / A.S.C.F.D.
12. 9 Lashes (When Michael Smacks Lucifer)
13. Posse Slash (feat. Karniege, Breez Evahflowin, Poison Pen & Aesop Rock)
14. Could You Be? (Feat. Nathaniel Roberts & Simone Harrison)
15. Outro: 12 Noon
16. Life's Ill Pt. II (The Empire Striketh) (Feat. Breezly Brewin & Vordul Mega)
17. My First Sony (Pegasus Remix)

Review:
Mit "The Cold Vein" konnten Vast Aire und Vordul Mega szenenweite Aufmerksamkeit und vor allem durchschlagendes Kritikerlob erlangen. Seit diesem Zeitpunkt wartet die Welt auf ein zweites Album des Duos - am besten genauso gut und avantgardistisch. Doch dazu kommt es nicht, Vordul verschwindet erst einmal von der Bildfläche und Vast Aire taucht als Feature-Gast auf Def-Jux-Releases und auch an einigen anderen Stellen auf. 2004 ist dann das Jahr der Solos, wobei Vast den so gefährlichen und zumeist schon vorab kritisch beäugten Schritt zuerst unternimmt. Chocolate Industries ist das Label seiner Wahl, das "Look Mom... No Hands" unter die Massen bringt.

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Diejenigen, die die Fortsetzung des "Cold Vein"-Sounds verlangen, werden schier aus den Latschen kippen, denn El-P können sie lange suchen, während selbst der "starvin happy Harlem"-Bruder Vordul Mega nur einen einzigen kleinen Auftritt verbucht. Wer denkt, es könne nicht besser kommen, der lese weiter: Selbst die Atoms Family, deren Logo sogar noch mitten im Cover logiert, zeigt sich erstaunlich abwesend. Der zu ziehende Schluss: Vast will Neues ausprobieren. Und das tut er auch, mit der halben Underground-Szene im Schlepptau. El-P's Abwesenheit wird durch ein wahrhaft saftiges Producer-Lineup vergessen gemacht, am Mic darf sich ebenfalls niemand über Eintönigkeit beschweren. Die große Frage ist dabei, wie das alles zusammenspielt, wie Vast mit den einzelnen Produzenten als auch den Gästen zurechtkommt und wie das Gesamtbild dann schließlich aussieht. Die zugehörige Antwort lässt sich in einem Wort zusammenfassen: bunt. Eine recht unausweichliche Begebenheit, wenn beim Sound gefeierte Koryphäen der Szene zu einigen wenigen konventionellen Bekannten sowie verschiedensten Schattengestalten der zweiten und dritten Underground-Etage gepanscht werden. "Elixir" ist so ein Musterbeispiel: Der von Ayatollah produzierte Track brummt in seiner ganz eigenen Welt vor sich hin und bekommt von Dat X zusätzlich noch einen eigenen Stempel aufgedrückt. Noch krasser zeigt es sich bei "Viewtiful Flow", dem weichgespülten und deshalb ungeliebten Jake-One-Joint, für den sogar noch das singende Alter Ego von Melodious Monk rekrutiert wird. Ob der Song hierher gehört, ist eine offene Frage, schlecht ist er aber nicht, Vast's zumeist amüsante und immer kunstvolle Lines sind jedenfalls präsent:

"There's two things you should know
I had a ill life, so I got a ill flow
But you already knew that
Like the third movie of The Matrix was gonna be wack
It ain't like I didn't care
But the Oracle said: 'Spend your money elsewhere'
Walk with me like one third of a LOX
But talk to me like one half of an Ox
"



Vast bleibt auf der ganzen LP das einzige Rückgrat, denn diejenigen, die dafür auf Soundebene hätten Sorge tragen können, sind kaum anwesend: Cryptic One verlässt sein Nirgendwo nur einmal für "Why'sdaskyblue", das als clever-düsteres Konstrukt glatt zu den besten Tracks zählt, Captain Caveman vollführt seinen ehrenvollen Auftritt mit "Pegasus", hinetrlässt mit "Poverty Lane" (trotz festem lyrischen Konzept) dann aber gemischte Gefühle. Trotzdem hätte sich um diese Namen ein geschlossenes Album bilden können. Dazuzuzählen ist hierbei natürlich auch Jest mit dem schon einige Jahre alten "His Majesty's Laughter", das sich bestens als Intro eignet. Der Rest der LP ist durchsetzt von Gastspielen: "Da Supafriendz" ist erste Sahne, klingt aber (irgendwo schon erwartungsgemäß) eher wie ein Vast-Feature auf einem Doom-Track, auch "Zenith" trägt viel zu eindeutig Blueprint's Handschrift, gibt dabei aber noch nicht einmal einen guten Track ab. "Candid Cam" ist glatt für die Tonne, der "Posse Slash" tischt da schon wesentlich sättigender auf, ist aber nahezu eine Verschwendung des Aesop-Auftritts. Rüpel-Rhymes deluxe gibt es zusammen mit Metro und Camu, "KRS-Lightly" ist zwar wieder eher ein Fremdkörper, dafür aber ein gelungener ("You know my mouth is New York but my ellbow's a Southern Comfort spilled on my shirt, change the pattern"). Ein wichtiger Bestandteil der LP ist Madlib, der mit seinen Beiträgen für ein klein wenig Struktur und vor allem Highlights sorgt: "Could You Be?" schafft Ersteres mit exzessivem Gesang noch weniger, der Titeltrack dagegen zeigt, wie unglaublich gut Vast und Madlib zusammenpassen, was prompt im Highlight der LP resultiert. Für "Life's Ill Pt. 2" mimt der Beat Konducta dann sogar ein wenig El-P, beim Songthema passt Partner-in-Rhyme Megallah natürlich bestens. Bisher noch unerwähnt sind ein großartiges Outro und "9 Lashes" (von niemand Geringerem als Rjd2 geschustert), ein typischer Diss und ein Relikt des Beefs zwischen den Weathermen und den Demigodz, der auf Eso und Celph abzielt.

Vast Aire geht seinen eigenen Weg, doch grenzenlose Begeisterung ist es nicht, die man von seinem ersten Soloausflug mitnimmt. Der Sprung von der El-P-Komplettproduktion zum zerrütteten Gesamtbild, das sich einem hier bietet, ist, gelinde gesagt, ein großer; da helfen die vereinten großen Namen auch nichts. Was Vast Aire stattdessen erreicht ist ein Album, das eine beträchtliche Zahl sehr guter Tracks aufweist, das es aber versäumt, diese zu einem echten Album zu vereinen. Wen das nicht stört, der wird an "Look Mom... No Hands" seinen Spaß haben, wer allerdigns eine neue, atmosphärisch dichte Großtat wie "The Cold Vein" erwartet, der sollte mit Vorsicht an die Sache herangehen. Letzten Endes ist die Anzahl der starken Tracks groß genug, um Vast ein positives Endergebnis zu sichern.

6.8 / 10

Edo. G - A Face In The Crowd


Release Date:
17. Mai 2011

Label:
Envision Entertainment

Tracklist:
01. Fast Lane
02. Life (Interlude)
03. I Was There
04. Stop It
05. Rappers (Interlude)
06. Dummies (Feat. Bishop Lamont & Def Jeff)
07. Black Power (Interlude)
08. Righteous Way
09. Like That (Feat. Special Teamz)
10. Beat (Interlude)
11. Only You (Feat. Amandi)
12. Aint Gonna Wait
13. Drink Up
14. One Two (Feat. JTronious)
15. Life (Feat. Chali 2na)
16. Speak Ur Mind (Feat. M-1)
17. World On My Shoulders (Feat. Made Men)
18. Time Bomb (Outro)

Review:
Mit dem Release-Jahr 2011 feiert Edo. G sein 20-jähriges Bestehen in der Szene (bezogen auf das Release seines Debüts). Grund genug, diese zwei Jahrzehnte vor dem inneren Auge und mit Blick auf Edo vorbeiziehen zu lassen. Dabei fällt schnell auf, dass der Mann zwar oft seine Finger im Spiel hatte, aber keine großen Revolutionen losgetreten hat, dass seine Veröffentlichungen vorwiegend zu jenen gehörten, die im Schwall mit vielen ähnlichen Scheiben erschienen (auch wenn Edo dabei durchaus starkes Material veröffentlichte) - so gesehen ist der Titel "A Face In The Crowd" also mehr als zutreffend. Ähnlich erging es auch seinem jüngsten Projekt mit Masta Ace. Nun ist er wieder solo unterwegs und heuert für sein neues Album beim gänzlich unbekannten Envision Ent. an.

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Da es davon in letzter Zeit scheinbar nicht genug gab, hatte Edo den äußert originellen Einfall, schon mit dem Cover den Eindruck eines Retro-Albums zu erwecken. Noch weniger Laune machen die Tracktitel, die trotz recht interessanter Gäste Befürchtungen, hier in eine Früher-war-alles-besser-Jammerparty zu stolpern, noch schüren. Gerade Edo, der nie zum Schlag der versiertesten Emcees zählte, sollte es sich nicht leisten, auf inhaltlicher Ebene im Kloakenbrei der Einfallslosen zu rühren bzw. sein Album undurchdacht und ohne halbwegs wasserdichtes Konzept ins Rennen zu schicken. Weitere Zweifel bringen die Produzenten: Einmal Premo, sonst ein bunt und willkürlich anmutender Haufen um Namen wie M-Phazes, Statik Selektah und Konsorten. Zusammengefasst hat der Skeptiker mal wieder allen Grund, sich in seiner Existenz bestätigt zu sehen, doch sollte er sich auch die Zeit nehmen, sich von "Fast Lane" umstimmen zu lassen. Wie schon auf "The Truth Hurts" erledigt die Edo-Premo-Kombo den Anfang, was erneut in höchst erfreulichem Maße gelingt. Da stört es nicht, dass der Song fast schon unverschämt nach "Say Something" bzw. einer direkten Kopie klingt: Der Flow ist derselbe, die Art und Weise, wie Edo sich als weiser Veteran inszeniert, selbst der Stil der Lyrik (man vergleiche "Either everything is workin', or you workin' for everything" von damals mit "If the people don't change, change the people around you") weist Parallelen auf. Nach dem gelungenen Beginn stellt sich heraus, dass Edo mit einer Reihe (nur teilweise nötiger) Interludes sogar etwas Struktur in sein Album bringt, welches er selbst als BoomBap zum Entspannen bezeichnet. Das trifft für den Großteil der Songs dann in der Tat auch zu, Revolutionen werden hier keine mehr losgetreten. Müssen sie aber auch nicht, denn "A Face In The Crowd" sind besonnene Minuten, in denen sich der Veteran Edo mit dem Hörer auf einen Drink hinsetzt, um ein wenig zu plaudern. Seine schönsten Züge nimmt das in "Drink Up" an, das (liebevoll aus bekanntem Sample-Material gebastelt) an der Bar Platz nimmt und die erwartungsgemäße Aufzählung diversester Probleme stilvoll unternimmt. Auch der "I Was There"-Track ist unverblümt unversteckt vorhanden, doch dank eines schönen, Soul-geschwängerten Instrumentals von M-Phazes und Edo's voller und reifer Stimme lässt sich das gar nicht so uninteressante Namedropping wesentlich besser ertragen als etwa beim Herrn KRS. Ebenso selbstverständlich ist es jedoch, dass das Albumkonzept an einigen Stellen weniger begeistert: "Like That" ist auch mit Gästen langweilig, ebenso gibt es in "Dummies" vor allem Beat-wise wenig zu sehen bzw. hören. Ne-Yo-Verschnitt Amandi macht das ohnehin zu weiche "Only You" zusätzlich unattraktiv, "Righteous Way" dagegen ist wesentlich genießbarer, wenngleich der HipHop-Head dieses Curtis-Mayfield-Sample wahrscheinlich schon irgendwo in effektiverer Umsetzung gehört hat. Der Rest der LP hält dieses solide Niveau, ohne weitere Überraschungen zu bieten, bis "Time Bomb" mit einem Sample aus Stacy Parelta's "Crips And Bloods"-Doku das Album beendet.
Ganz offensichtlich hatte Edo mit seinem neusten Album nicht vor, nochmal große Wellen zu schlagen, denn das lässt schon der Aufbau der Platte nicht zu. Man kann natürlich in Frage stellen, ob es dann überhaupt ein Album gebraucht hätte, doch wer einem altgedienten Rapper dabei zuhören will, wie er sich zurücklehnt und in aller Ruhe die Dinge diskutiert, die ihn beschäftigen, der ist bei Mr. Ed O.G. gut aufgehoben. Das Ergebnis sind einige sehr hörenswerte Tracks, einige, die das Gegenteil sind, und noch ein ganzer Haufen gut hörbares Material, das niemandem wehtun und auch sonst spurlos an den Geschichtsbüchern vorbeiziehen wird. Wer "A Face In The Crowd" allerdings einwirft kann den Großteil laufen lassen, ohne skippen zu müssen - der good ol' BoomBap wurde schon schlechter praktiziert.

5.9 / 10

Freitag, 10. Juni 2011

Verses - Listening Session


Release Date:
14. März 2006

Label:
Rhymes Elect Music

Tracklist:
01 Yes, Yes, Y'All
02 We Do It (Feat. Tony Stone & Mark J.)
03 Funky Dividends
04 ConfusionUnion (Feat. Braille)
05 Fa La La
06 Ms. O'Ginny
07 Fatherless Child (Blues PSA)
08 Love Jawns (Feat. Chloe)
09 Kid Fresh Interlude
10 Cassette Tapes & Roller Skates (Feat. Cult-free & Verbs)
11 Yoof Rally
12 We Do It (Radio Edit)

Review:
Verses hat sich bisher nicht gerade an den Knotenpunkten der HipHop-Kultur herumgetrieben: Ursprünglich kommt er aus Cincinnati und wohnt nun in Maryland. Seit Kurtis Blow ist er HipHop-Anhänger und rappt und schreibt immer wieder selbst, geht die Sache aber erst auf der Iowa State seriöser an, dort nämlich ist er an der Gründung der Gruppe Rhymes Elect beteiligt, von der 2001 ein Album ("Lyrical Resurrection") erscheint. Gemeinsam möchte man dem Verfall der Conscious-Bewegung entgegenarbeiten, was dann auch Verses' Motivation für sein erstes Soloalbum "Listening Session" ist, das 2006 selbst (und ein Jahr später in überarbeiteter Version nochmal auf dem japanischen Markt) veröffentlicht wird.

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Der Titel "Listening Session" erscheint auf den ersten Blick sehr willkürlich, ist aber durchaus wortwörtlich zu verstehen: Der Hörer möge mal wieder dem zuhören, was aus seinen Boxen schippert. Als Motivation gibt Verses übrigens immer Gott an, denn er ist gläubiger Christ. An dieser Stelle sollte man jedoch nicht die Flucht ergreifen. Christian Rap ist nichts für jedermann und das zu Recht, doch glücklicherweise ist Verses mehr ein Conscious- als ein Christian-Rapper. Auf Seiten der instrumentalen Untermalung darf man gespannt sein, denn statt irgendwelchen Stümpern macht sich Tony Stone, der schon Braille bei "Shades Of Grey" zur Seite stand, die Hände schmutzig. Das bedeutet also relaxte Beats, die zufälligerweise bestens zu Verses passen, der einen unaufgeregten Flow sowie eine relativ hohe Stimme sein Eigen nennt. Damit lädt er zu seiner ganz persönlichen Show ein, die weit abseits vom aktuellen HipHop-Geschehen abgehalten wird. Der Bass spielt über eine halbe Minute vor sich hin, bis die Einleitung in "Yes Yes Y'All" fertig ist und Verses zum Mic greift. Dort macht er binnen kurzer Zeit klar, was seine Anliegen sind: Bei wenigen anderen war es so klar, dass es nicht ums Geld geht, hier steht der Spaß an der Sache im Vordergrund, dem sich im Laufe der LP noch die eine oder andere moralische Botschaft beimischt. Wie sehr sich Beweggründe unterscheiden können, zeigt dann "We Do It" nochmals voll und ganz: In einer Zeit, in der The Game und 50 Cent über das Wie referieren, widmet Verses sich dem Warum, um seine Antwort ("we do it for the love") schnell zu finden. Der Track erhält einen unbeschreiblich angenehmen Sound-Überzug von Stone, der es sich nicht nehmen lässt, selbst zum Mic zu greifen. Doch es ist Verses, der gegen Ende die richtigen Worte findet: "We do it for them kids in school / Who growin up, thinking it's cool / To have beef with them teachers cause they saw Ja Rule havin beef with 50 on wax". Nach und nach widmet sich der Protagonist dann allem, was ihm auf dem Herzen liegt: "Ms. O'Ginny" geht an die freizügige Sexualisierung der Fernsehindustrie, für "Love Jawns" wird Ehefrau Chloe ins Boot geholt, um mit einem echten Love-Song ein Gegenbild zur Verherrlichung der Stripper-überfüllten Party-Tracks zu malen. Tony Stone scheint für jedes von Verses' Themen das richtige Verständnis zu haben und unterlegt jeden Track mit einem passenden Instrumental, das zwar nicht immer überwältigt, aber immer seinen Job verrichtet. Eines der Highlights ist "Funky Dividends", dessen erste Titelhälfte sich Stone anscheinend zur Brust genommen hat, da seinem Beat in der Tat der Funk aus den Ohren quillt, während Verses einen hoch unterhaltsamen Vortrag über den Umgang mit Geld hält. "ConfusionUnion" lädt einen stark aufgelegten Braille ein, während "Kid Fresh" (Verses' erstes Rapper-Alias) den Weg für "Cassette Tapes & Roller Skates" ebnet, das nostalgisch einer noch unschuldigen, dem Spaß verschriebenen HipHop-Kultur hinterherhängt. An dieser Stelle hätte man dann am besten aufgehört, denn in "Yoof Rally" schwächelt Stone und das Konzept des belehrenden Kindertracks macht in dieser Form keinen Spaß.

Verses macht keinen Christian Rap im eigentlichen Sinne, was sich als gute Sache herausstellt. Was dieses Album antreibt sind lediglich die ethischen Grundsätze, die Verses' Religion zugrunde liegen. Das führt zu einem Conscious-Album aus dem Lehrbuch, dem eine gewisse Unbeflecktheit anhaftet. Das ist natürlich kein Freibrief, denn wenngleich Tony Stone hinter den Kulissen bei der Produktion erfreulich gute Arbeit leistet, ist nicht jedes Stück überragend. Trotzdem ist "Listening Session" eine feine Angelegenheit, denn es bietet eine mehr als solide Dreiviertelstunde entspannten HipHop, die niemandem wehtut, in der man aber vergessen kann, zu welchem Kommerz-Monster sich das Genre entwickelt hat.

6.6 / 10

V/A - Centrifugal Phorce Records Presents: Euphony


Release Date:
2001

Label:
Centrifugal Phorce Records

Tracklist:
01. Cryptic One - Euphony Alpha
02. Hangar 18 - Prison
03. Aesop Rock, Yeshua daPoED & Vast Aire - Sinister
04. LoDeck & Despot - Cynical Bastards
05. Aesop Rock - Water
06. Cryptic One - Half Life
07. Vast Aire - His Majesty’s Laughter
08. Greenhouse Effect - Woke Up This Morning
09. The Presence - Centerbird
10. It - Eff The Heard '97
11. Atoms Family & Greenhouse Effect - Time To Unravel
12. LoDeck - Stethoscope
13. Aesop Rock - Coma (Remix)
14. Cryptic One - Euphony Omega

Review:
Mit "The Prequel" stellte sich die Atoms Family als Gruppe einem größeren Publikum vor und demonstrierte dabei, dass sie als Kollektiv mehr ist als nur eine Rapper-Ansammlung aus dem New Yorker Underground, der zwar Talent zugesprochen wird, die aber auf Albumlänge nichts zustandebringt. In diesem Underground des jungen neuen Jahrtausends sind die auf dem von Cryptic One gelenkten Centrifugal Phorce operierenden Herren bestens mit Gleichgesinnten (von Nachbarn bis hinein in den Mittleren Westen) verlinkt, was zu dieser Platte führt, die mancherorts fälschlicherweise als Album der Atoms Fam gezählt wird - doch "Euphony" ist eine Compilation, die einige der fähigsten Köpfe der damaligen Zeit zusammenführt.

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In gewisser Weise ist der Begriff "Album" trotzdem nicht ganz verkehrt, denn man sollte "Euphony" nicht in einen Topf mit anderen Compilations werfen, was die vertretenen Gäste schon andeuten sollten. So einzigartig die einzelnen Individuen sein mögen, es zieht jeder an einem Strang, das Anliegen der Platte ist einheitlich und dem, das schon die Atoms Fam zusammenführte, nicht unähnlich: komplexe Lyrik und Wortspiele, hier und da eine Andeutung, verpackt in ungeschliffenen Sound. Schon die Liste der Produzenten sollte den HipHop-Kenner hellhörig machen: Cryptic One führt Regie und umgibt sich mit Namen wie Blockhead, Jestoneart, Blueprint oder NASA. Dass einen hier also pure Euphonie (Wohlklang) erwarten wird, ist unwahrscheinlich - diese Producer sind (nicht minder als die geladenen Emcees) dafür bekannt, rohe Sounds zu schustern, die den Hörer fordern und ihn aus seinem HipHop-Alltag reißen. Genau das passiert auf "Euphony" dann auch in atemberaubender Art und Weise. Den Anfang macht Cryptic's "Euphony Alpha" mit einem Stimmung schaffenden Instrumental und einem Auszug aus "Dark City", bevor ein noch ganz familieninternes und außerdem etwas zu abstrakt-anstrengendes "Prison" über einen Jestoneart-Beat einrollt, der die Wörterketten von Windnbreeze und Alaska nicht ins richtige Licht taucht. Doch man sollte sich nicht abschrecken lassen, denn anschließend wird ein Feuerwerk grandioser Tracks abgebrannt. Jest's zweiter Beitrag beispielsweise schickt Vast Aire über ein weiteres holpriges Instrumental, doch die gesprächigere Seite von Can Ox macht die Sache erst so richtig hörenswert: "Sending postcards from the edge of my sanity / With my face on the stamp repping vanity". Externe Unterstützung hätten die Atoms nicht wirklich nötig, wenn dann allerdings Aesop Rock, Yeshua daPoED und nochmal Vast über Cryptic's zappendusteres "Sinister" wüten, will man sich natürlich nicht über Abwechslung beklagen, während man sowieso damit beschäftigt sein dürfte, ob dieser Darbietung aus dem Staunen herauszukommen (Vast: "I breathe rusty air logic, it becomes the lung, the mind is the closet"). Dieses Niveau zu halten scheint zum Scheitern verurteilt, doch es geht munter weiter: Cryptic's "Half Life" stellt den Zyniker vor ein filmisch ausgereiftes Instrumental, noch besser trifft es Blockhead mit dem wehklagenden "Water", wohl einem von Aesop's besten Tracks, der von der einmaligen Architektur der einzelnen Bars lebt ("I'm 20 something pumping acrylic tomorrow side ways / Blazing passage with a map tattooed on the back of the classless"). The Presence, dessen eine Hälfte (NASA) später Uncommon Music gründen wird, tragen mit einem tief wummernden "Centerbird" bei, drohen trotz ihrer Klasse dabei jedoch in den Hintergrund gedrängt zu werden, denn es stürmen außerdem Namen wie ein hungriger LoDeck ans Mic: In "Stethoscope" prescht er gegen ein brummendes Piano, noch besser klingt der Johnny23-Emcee ("Emcees are just lunatics who pretend to count bars") mit dem später auf Def Jux gesignten Despot im nächsten Überbrett, "Cynical Bastards", für das Cryptic alles ins Gefecht wirft, was seine Gerätschaften hergeben. Selbst ans Mic tritt der CEO von Centrifugal Phorce nochmals mit Alaska als It, um in "Eff The Heard '97" seinen unglaublich geschmeidigen Flow unter Beweis zu stellen. Die letzte Komponente der Beitragenden sind die Jungs von Weightless, hier in Form von Blueprint und Inkwell in "Woke Up This Morning", das als perfektes Zusammenspiel der beiden ein frustriertes Statement über nicht erreichte Ziele ("Woke up this morning, and realized that a third of my life was gone / And 10 hour work days have became the norm") abgibt. Schließlich kleidet Cryptic "Coma" noch mit einem etwas fülligeren Beat aus, bevor ein verträumtes "Alpha Omega" den Hörer zur Tür hinausgeleitet.

"Euphony" demonstriert, wann eine Compilation sinnvoll sein kann. Wahrscheinlich hätten die Jungs aus der Atoms Fam auch einfach einen (nicht weniger willkommenen) Nachfolger zu "The Prequel" aufnehmen können, doch man entschied sich dazu, noch einen ganzen Haufen weiterer talentierter Künstler einzuladen, um ein Schaulaufen von mitunter dem Feinsten, was der amerikanische Underground so zu bieten hat, zu veranstalten. Dabei kann einem unmöglich langweilig werden, doch da die Gäste trotzdem bedacht gewählt sind und der Sound klar aus einem Guss ist, fühlt sich "Euphony" mehr wie ein Album denn eine Ansammlung von Songs an. Besser hätte man es kaum anstellen können und jeder, der mit den vertretenen Artists sympathisiert, sollte nach diesem Werk Ausschau halten.

8.5 / 10

Ruff Ryders - Ryde Or Die Vol. 1


Release Date:
13. April 1999

Label:
Ruff Ryders / Interscope Records

Tracklist:
01. Ryde Or Die (Feat. The LOX, Eve, Drag-On & DMX)
02. Down Bottom (Feat. Drag-On & Juvenile)
03. What You Want (Feat. Eve & Nokio)
04. Jigga My Nigga (Feat. Jay-Z)
05. Takin' $ (Skit)
06. Dope $ (Feat. The LOX)
07. I'm A Ruff Ryder (Feat. Parlé)
08. Bug Out (Feat. DMX)
09. Kiss Of Death (Feat. Jadakiss)
10. The Hood (Feat. Beanie Sigel, Infa-Red, NuChild, Mysonne & Drag-On)
11. Platinum Plus (Feat. Jermaine Dupri, Mase & Cross)
12. Buff Ryder (Skit)
13. Do That Shit (Feat. Eve)
14. Pina Colada (Feat. Sheek Louch & Big Pun)
15. Some X Shit (Feat. DMX)

Review:
Das HipHop-Genre hat nicht viele Logos und Marken, die man überall kennt. Das metallene "R" der Ruff Ryders" gehört dazu. Dabei wissen die wenigsten um die drei Figuren, die den Namen zu der Marke gemacht haben, die weltweit Erfolg hatte. Joaquin "Waah" Dean, Onkel von Swizz Beatz, ist es, der vom Hustler-Leben dazu übergeht, eigene Tapes (anfänglich noch die von Kid Capri) zu verticken und damit einen gewissen DMX promotet. Mit dem Aufstieg des Dark Man beginnt auch die RR-Dynastie, die Waah mit Schwester Chivon und Bruder Darrin hochzieht. Das Label hamstert sich hier und da einige Artists zusammen (Newcomer, aber beispielsweise auch die davor bei Bad Boy gesignten LOX), kommt bei Interscope unter und findet 1999 dann Gelegenheit, mit dem Compilation-Erstschlag "Ryde Or Die Vol. 1" seinen Namen weiter zu festigen.

WRITTEN FOR Rap4Fame
 
Zu jener Zeit stehen die Ruff Ryders im Auge des Umbruchs, der durch die HipHop-Szene zieht. Die goldenen Neunziger laufen aus, es bildet sich langsam eine neue Schicht im HipHop, die als Mainstream in den Formen, die sie bald erreichen würde, noch nicht bekannt ist. Die Ruff Ryders prägen diese Schritte mit einem Fuß mit, während der zweite im Ghetto New Yorks steht und sich nach Herzen an Street-Credibility und Hardcore-Ansprüchen erfreut. Zweiteres bekommt man auf dieser Platte allerdings nicht in vollen Zügen zu spüren, denn wenn die Truppe sich im eröffnenden "Ryde Or Die" vorstellt und dabei (mit überraschend gelungenem Outcome) EPMD's "Headbanger" kopiert, ist das schon das höchste der Gefühle in diese Richtung. Doch der düstere NY-Sound der Mittneunziger ist schließlich nicht Pflicht. Als nächstes fällt die bunte Gästeliste auf, die in gewisser Weise verwundert, die die Ruff Ryders ganz klar von beispielsweise dem Wu-Tang Clan abhebt und die "Ryde Or Die Vol. 1" als Compilation identifiziert: Das ausgemachte Ziel, sich selbst als Instanz im Rap-Business zu etablieren, verfolgt man mit dem Einladen illustrer Gäste, die ein möglichst großes Spektrum abdecken sollen. Das tut im Übrigen schon die Aufstellung der Truppe, der mit Eve ein weibliches Mitglied und mit Parlé noch ein Mann für die R'n'B-Songs angehören. Erstaunlicherweise funktioniert dieser große Mix auf nicht wenigen Songs recht gut: "What You Want" ist ein poppig-lockerer Song mit einem Hauch Salsa im Rhythmus (den man Swizz so vielleicht gar nicht zugetraut hätte), auf dem Eve es sich nicht nehmen lässt, ihr Rap-Talent (sich selbst als Power-Frau inszenierend) unter Beweis zu stellen, was zu einem kleinen Highlight führt. Der letzte Auftritt in "Do That Shit" verläuft da mit unappetitlichem Synthie-Gebrumme schon wesentlich weniger glorreich. Verantwortlich dafür ist Swizz Beatz, der fast der gesamten Platte seinen Stempel aufdrückt und damit seinen zukünftigen Stil (nach der zweiten, wesentlich härteren DMX-Platte) weiter definiert. Dieser Stil stellt sich als vielseitig heraus, immerhin kann Swizz von lausig hingeschmiertem R'n'B-Gesülze à la "I'm a Ruff Ryder" (das unter jeder möglichen Betrachtungsweise schlichtweg fehl am Platz ist) bis zum typischen Street-Banger "Dope $" alles - nur die Qualität schwankt dabei sehr. Daran kann selbst ein DMX nicht viel ändern, weswegen er in "Bug Out" über ein nervtötendes Instrumental wenig zu lachen hat, während sich die Handlangerschaft in "The Hood" (inklusive der RR-Backups Drag-On und Infa-Red) über den schönen Kopfnicker freut. Dass inhaltlich auf der ganzen LP nicht viel passiert, muss eigentlich nicht erwähnt werden - Braggadocio und Battle-Raps sind an der Tagesordnung und geben mit ein wenig Straßenlektüre den richtigen Aufstrich für die Prolo-Attitüde, die dem gesamten Projekt zugrunde liegt. Den Geschäftssinn der RR-Bande muss man anerkennen, denn schon '99 wurde in Form von Juvenile die Notwendigkeit erkannt, den Süden miteinzubeziehen. Mit JD bounct man dann unnötigerweise noch durch "Platinum Plus", Big Pun wäre auf einem kräftigeren Track als (dem immerhin noch gut akzeptablen) "Pina Colada" besser aufgehoben und des Jigga's Auftritt ist eingängige Kundenwerbung, die aber paradoxerweise nicht einen Ruff Ryder am Mic featurt. Den finalen Schuss gibt dann wieder DMX mit "Some X Shit" ab, das zwar nicht zu seinen besten Momenten gehört, dafür aber zu den besseren dieser LP.

An wenigen anderen Releases lässt sich so gut beobachten, was Ende der Neunziger passierte, was nach Ansicht vieler Heads schieflief, sodass New York seinen typischen Sound, dem heute so sehr nachgetrauert wird, verlor. In diesem Stadium war das noch kein Kapitalverbrechen (und noch nicht voll absehbar), denn die Ruff Ryders waren keine unfähigen Stümper - selbst abseits des Riechers für Selbstvermarktung finden sich auf dem ersten Teil des Gruppenschaulaufens einige beanstandungslose Stücke. Ein Top-Release hätte "Ryde Or Die" aber nie werden können, dafür werden zu viele verschiedene Leute in einen Topf geworfen, um dann zu viele verschiedene Geschmäcker bedienen zu wollen. Es wäre wünschenswert gewesen, die vielen Gäste außen vor zu lassen, Parlé zu verbannen und mit dem nicht untalentierten restlichen RR-Team ein geschlosseneres Album aufzunehmen, das mehr als eine Compilation hätte sein können und wahrscheinlich auch mehr als ein leicht überdurchschnittliches Ergebnis erzielt hätte.

5.8 / 10