Samstag, 29. Dezember 2012

Genghis Khan - The Broken Love


Release Date:
28. August 2012

Label:
Eigenvertrieb / Free Download / Disturbia Music Group

Tracklist:
01. Salvation (Feat. Unconscious Rascall)
02. Violence (Feat. Thirstin Howl III, Block McCloud, Gutta & Chris Carbene)
03. Enter The Void (Feat. Reef the Lost Cauze & Spit Gemz)
04. The Black Lodge (Feat. Block McCloud)
05. Baby Boy
06. Sadistic Sphinx (Feat. Block McCloud & Virtuoso)
07. Eat Your Motherfucking Heart Out (Feat. Unconscious Rascall, Dirt Tha General & Chief Kamachi)
08. Hotel Hide
09. Lust And Loves Domain
10. This Tainted Impulse
11. Kill The Magic (Remix) (Feat. Julia Baburova)
12. She Used To Be Love
13. Fallen (Feat. Unconscious Rascall) / Outro: Arrival Of The Three Beggars (Performed By Martin Grech)

Review:
Das verschlafene Greensboro in North Carolina ist Rap-technisch nicht gerade relevant, sollte jedoch wegen eines gewissen Künstlers zukünftig auf dem Radar von Rap-Hörern auftauchen. Genghis Khan versucht bereits 2007, mit seinem ersten Album ("The Violence Effect") auf sich aufmerksam zu machen, was allerdings nicht so recht gelingen will. Mit seiner Gemini Lounge bringt er hier und da einige Produktionen unter, kann ein paar Auftritte verbuchen und steht im Stall von Block McClouds Disturbia Music, alles in allem führt er jedoch weiterhin das mühselige Dasein eines typischen Untergrund-Rappers. Kein Wunder, dass die notwendige Inspiration für weitere Tracks nur sporadisch vorhanden ist, dass die Motivation gelegentlich fehlt. Letztendlich, mit dreijähriger Verspätung, schafft "The Broken Love" es dann doch ans Tageslicht.
WRITTEN FOR Rap4Fame

 Einerseits als Entschädigung für die Wartezeit, andererseits aber auch mit dem Ziel, den eigenen Namen diesmal besser in Umlauf bringen zu können, entscheidet sich Khan, die Scheibe als Free Download zu veröffentlichen - rückblickend sicherlich eine gute Entscheidung. Doch das Album erreichte seine überraschend hohe Download-Zahl nicht umsonst, denn wenngleich Genghis Khan fremden Hörern bisher vorwiegend inmitten eines Umfelds in Erscheinung getreten war, das nicht gerade für seinen Reichtum an Kreativität bekannt ist, sollte man mit ihm keinen weiteren Infanteristen à la Savage Brothers oder dergleichen erwarten, die als Kanonenfutter von Snowgoons-artigen Beat-Monstren gepeitscht werden. Zuerst ist anzumerken, dass die Gemini Lounge (zu der noch Unconscious Rascall und Jon Jackson zählen) fast die ganze Scheibe selbst produzieren, was wiederum zum Herzstück der Scheibe führt, den Beats der Gemini Lounge, die, konsistent mit allen bisherigen Machenschaften, welche es bereits auf "The Violence Effect" zu bestaunen gab, einen eigenständigen Sound garantieren. Doch nicht nur das, sie sind ein sehr konstruktiver Beweis, dass der desertifizierende, einst so fruchtbare Boden ostküstlicher Hardcore-Weiden noch Platz für frische Gewächse bietet. "Eat Your Motherfucking Heart Out" fährt die Gemini-Lounge-typische, knüppelhart treibende Drumline auf und demonstriert, wie man mit Streicher-Sample eine keineswegs übersteuerte und nichtsdestoweniger schwer bedrohliche, nachhaltig wirkende Atmosphäre kreiert. Dirt und Rascall hätte es zwar nicht gebraucht, da sie von einem souveränen Chief Kamachi in Grund und Boden gestampft werden, doch Genghis selbst schafft es, auf diesem Posse-Cut - wie auch auf dem restlichen Album - als würdiger Gastgeber aufzutreten. Obwohl er eigentlich keine echten Markenzeichen besitzt, liegt hinter jeder seiner Zeilen eine Zugkraft, die ihn vor vielen Genre-Kollegen auszeichnet. An dieser Stelle darf nun auf Albumtitel und Konzept eingegangen werden: Gewissermaßen ist "The Broken Love" ein Album (großteils) voller Lovesongs, nur blicken quasi alle aus der Post-Beziehungs-Sicht auf den Weg des Scheiterns zurück, es präsentiert sich ein Interpret mit gebrochenem Herz und schwarzen Gedanken, was das aufmerksamkeitssuchende, aber irgendwo auch treffliche Cover rechtfertigt. "Salvation" startet dagegen religionskritisch mit den persönlichen Erfahrungen Genghis Khans und ist als erstes Highlight mit starker Sample-Arbeit ein erster Hinweis darauf, dass Khan großer David-Lynch-Fan ist - das Intro der LP bezieht er aus Twin Peaks. Offensichtlich wird dies später in "The Black Lodge", einer weiteren Großtat, die angemessen stimmungsaufbauend eröffnet und dann auf pechschwarzem Pfad fortgeführt wird ("Rainy nights and dark days, we walk through this hand-made hell / I've seen slaves that destroyed themselves / And go insane if every inch of their heart is not black / Though no man should ever have to live like that"). Bei diesem klagenden Voice-Sample und dem verschluckenden Bilderrahmen eines Beats relativiert selbst ein Block McCloud sämtliche Untaten seiner bisherigen Karriere, um einen Rap-Part aufzusetzen, der sich hören lassen kann. Vollständig in dieser Manier gibt es das Album leider nicht, beispielsweise schleicht sich - weswegen auch immer - ein Beat von C-Lance ins Aufgebot, der zwar zu seinen besseren Werken gehört, aber trotzdem nicht nötig gewesen wäre. Ähnliches ist über "Violence" zu sagen, das zu grobschlächtig wirkt. Gäste wie Reef wären ebenfalls nicht nötig gewesen, auch wenn die bekannteren Namen natürlich einige Downloads mehr bewirkt haben dürften. "Baby Boy" und "She Used To Be Love" (schon auf dem ersten Album vertreten) erinnern sich verbittert einer vergangenen Beziehung und beziehen dabei ausführlich den Gesang ihrer Gäste mit ein, "Kill The Magic" gehört fast großteils Julia Baburova, schafft es jedoch trotzdem noch, in den Rahmen der LP zu passen. Die besten Momente hat Genghis Khan trotzdem, wenn er sich allein in sich selbst und seiner Gedankenwelt verliert: "Hotel Hide" ist ein vierminütiges Intro, das gewalltig Stimmung aufbaut, die von "Lust And Loves Domain" dann nicht fallengelassen wird. Das vielleicht beste Stück des Albums glänzt mit der expliziten, rohen Kraft, die Genghis aus dem körperlichen Zusammenschluss mit seiner Verflossenen gewann, die schonungslos wortgewaltig (und nur bedingt jugendfrei) kanalisiert wird und zusammen mit fesselndem Instrumental (großartig: pätscherndes Wasser als Bindeglied zwischen Musik und Text) aufspielt. Ohne Verzug schließt sich "This Tainted Impulse" an, wesentlich minimalistischer und mit staubigen Snares, die einem sich selbst verzehrenden Genghis den Takt angeben. Fehlt noch "Fallen", bei dem sich Genghis bis auf den schwachen Chorus keine Blöße gibt, auf dass er Martin Grech für das "Outro" das Rampenlicht überlässt, welches dieser mit seiner Akustikgitarre und eingängigem Gesang optimal veredelt.

Es mag vielleicht musikalisch nicht in jedem Aspekt zutreffen, doch in vielerlei Hinsicht führt Genghis Khan mit seiner Gemini Lounge das fort, was einst die Jedi Mind Tricks um die Jahrtausendwende trieben. Es sind nicht die Themen, es sind auch nicht dieselben Samples, es ist die Art, wie Genghis seine Songs einleitet, die dichte Atmosphäre sowie Kleinigkeiten wie das Outro (man erinnere sich an jenes zu "VBD"). Khan ist dabei noch nicht auf dem Höhepunkt seines Schaffens angelangt, es gibt noch Potential nach oben, denn fehlerfrei ist "The Broken Love" nicht. Doch die positiven Eindrücke überwiegen, genau genommen findet man hier stellenweise das Beste, was jener (überschaubare) Flügel von HipHop-Hogwarts, der den Namen des ehrenwerten Stoupe The Enemy Of Mankind trägt, in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Bleibt zu hoffen, dass Genghis Khan auch in Zukunft genug Inspiration findet.

7.5 / 10

Akon - Trouble


Release Date:
2003

Label:
SRC / Universal Records / Upfront Entertainment

Tracklist:
01. Locked Up
02. Trouble Nobody
03. Bananza (Belly Dancer)
04. Gangsta (Feat. Picklehead, Daddy T & Devyne)
05. Ghetto
06. Pot Of Gold
07. Show Out
08. Lonely
09. When The Time's Right
10. Journey
11. Don't Let Up
12. Easy Road
13. Locked Up (Remix) (Feat. Styles P)

Review:
Wenn man heutzutage einen sich durch die Pop- und Pop-Rap-Welt featurnden Akon sieht, dann darf man nicht vergessen, wie es für den Mann mit senegalesischen Wurzeln anfing: Geboren in St. Louis, ist sein Vater ein erstklassiger Djembé-Spieler im Senegal, wo Akon einen Teil seiner Kindheit verbringt (nach der High-School bleibt er schließlich), dann aber mit Familie nach New Jersey zieht. In einem Friseursalon in Newark arbeitend, lernt er Wyclef Jean kennen, hängt mit dem Refugee Camp ab, singt auf "The Score" und bekommt sogar einen Deal bei Elektra, der '96 zur Single "Operations Of Nature" führt. Doch die floppt und Akon wird vom Label gestrichen. Frustriert von der Musikwelt beginnt das, was er in späteren Interviews als seine Verbrecher-Karriere (als berüchtigter Autoknacker) vermarktet. Zu diesem Zeitpunkt leben seine Eltern schon in Atlanta, Akon folgt ihnen aufgrund eines Basketball-Stipendiums, das er aber schnell verliert. Zwischen 1999 und 2002 soll er dann seine berüchtigte Gefängnisstrafe wegen diverser Delikte verbüßt haben - in Wirklichkeit sind es fünf Monate, da Akon in Atlanta gegen seine Bewährungsauflagen aus Jersey verstößt. In jedem Fall bandelt er mit Devyne Stevens an, arbeitet zuerst mit dessen Upfront Ent. und zieht dann weiter zu SRC, wo es schließlich zum Debüt "Trouble" kommt.
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 Mit einer Kofferraumladung voll mit Street-Cred und dem Vorstrafenregister bekommt Akon also doch noch seinen Major-Deal (SRCs Knobody sieht in ihm großes Potential) und schickt sich an, der Welt ein Album mit einem interessanten Mix aus HipHop, R&B und seinen ethnischen Wurzeln vorzusetzen. Und an dieser Stelle muss man vielleicht noch ein paar Worte zur Geschichte des Erfolgs verlieren, denn der tritt nicht instantan ein - "Trouble" erhält bei der ursprünglichen Veröffentlichung 2003 zuerst gar keine Aufmerksamkeit. Die erste Single bedient der HipHop-Teil der Kundschaft (was Knobodys Plan, erst die "Realness"-Punkte auszuschöpfen und dann den Mainstream zu kapern, zuzuschreiben ist) und schlägt erst im Remix mit Styles P an, bis dann die zweite Single sogar die Klingelton-Charts stürmt (was 2004 zum Re-Release des Albums führt). Doch schön der Reihe nach. Besagte erste Single ist "Locked Up", die Akon selbst produziert und arrangiert, was auch fast für den gesamten Rest der LP gilt. Thematisiert wird seine imaginäre dreijährige Haftstrafe (mit dem vollen Programm, u.a. dem Verlangen, Familie und Freunde wiederzusehen), doch ganz ungeachtet des Realitätsbezugs ist der Song ein voller Erfolg: Ein sachter Klavier-Loop macht das Herz des Songs aus und reicht Streichern, einer zufallenden Zellentür sowie einer astreinen HipHop-Drumline die Hand, während ein gepeinigter Akon "They won't let me out" singt. Im Remix mit Styles P (Mit einem genialen Promo-Move wurde für jedes Land ein lokaler Rapper für einen weiteren Remix geladen, beispielsweise Azad oder Booba) macht die Geschichte mit kräftigen Rhymes noch mehr Spaß. Den Großteil des Albums bestreitet Akon allerdings alleine, was zwar löblich ist, aber nicht optimal, da er sich außerdem dazu entscheidet, seine Rap-Skills zu selten auszupacken und stattdessen entweder komplett zu singen oder mit Singsang zu operieren. Da er eine markante Stimme und ein nicht zu austauschbares Auftreten hat, ist das nicht weiter schlimm, mehr Raps hätten zu den HipHop-Beats allerdings eine gesunde Ergänzung gegeben. Abgesehen davon ist die Zusammenstellung der Songs nicht weiter aufregend: "Bananza" (mit starken Percussions) und "Show Out" sind die obligatorischen Party-Tracks für die Tanzfläche und machen ihren Job sehr ordentlich, "Pot Of Gold" dagegen ist schmerzhaft butterweiches Gesülze mit inhaltlichem Mutmacher-Durchfall. Ähnlich misslungen ist "Easy Road" und auch "When The Time's Right" (der Akon-reißt-die-heißeste-Dame-im-Club-auf-Track) hat trotz flotter Raps und soliden Refrains eine geringe Halbwertszeit. Ansonsten schlägt sich der Schwerverbrecher aber überraschend gut: "Lonely" nutzt ein Bobby-Vinton-Sample und pitcht dieses so aberwitzig, dass man dem soften Herzschmerz-Song kaum böse sein kann, zumal Akons Gesang hier bestens passt. Eine direkte Fortsetzung findet sich im weniger eingängigen "Don't Let Up". Auffällig ist die immer gute Produktion, auch "Trouble Nobody" überzeugt in dieser Hinsicht, während Akon mit der Hook wieder ins Schwarze trifft und über die Mühen eines Ex-Knackis im normalen Leben berichtet. Das etwas zu standardmäßig aufgebaute "Gangsta" bringt mit seinen Gästen die nötige Abwechslung ins Spiel (hier wären Raps von Akon am sinnvollsten gewesen), "Ghetto" besticht mit glänzender Sample-Arbeit von Meister Pete Rock, der die tänzelnden Geigen mit melancholischem Gesang verschmilzt und so die Grundlage für ein Highlight legt, in dem natürlich das harte Ghetto-Leben betrauert wird.

Ein Klassiker war selbstverständlicherweise nicht zu erwarten, doch wenn man die Rahmenbedingungen, Zielsetzungen und Einflüsse von "Trouble" betrachtet, ist es doch eine große Überraschung, wie wacker Akon sich schlägt. Abseits der routinierten Fließband-Gastauftritte, die er später abwickelt, steckt in diesem Album nicht nur sein stimmliches Herzblut: Vor allem die Produktionen sind souverän und begehen nicht den Fehler, mit Pusteblumenkonsistenz sofort in Schall und Rauch zu zergehen, sondern sind zumeist tiefer im HipHop verankert als erwartet. Dazu addieren sich Akons Händchen für eingängige Hooks und eine gute Stimme, was die Nummer der Aussetzer starkt dezimiert und "Trouble" zu einer Angelegenheit macht, die man sich - wenn man denn auf der Suche nach einem derartigen Hybridenalbum ist - problemlos anhören kann.

5.6 / 10

Obie Trice - Cheers




Release Date:
23. September 2003

Label:
Shady Records / Interscope

Tracklist:
01. Average Man
02. Cheers
03. Got Some Teeth
04. Lady (Feat. Eminem)
05. Don't Come Down
06. The Set Up (Feat. Nate Dogg)
07. Bad Bitch (Feat. Timbaland)
08. Shit Hits The Fan (Feat. Eminem & Dr. Dre)
09. Follow My Life
10. We All Die On One Day (Feat. Eminem, 50 Cent & Lloyd Banks)
11. Spread Yo Shit (Feat. Mr. Porter)
12. Look In My Eyes (Feat. Nate Dogg)
13. Hands On You (Feat. Eminem)
14. Hoodrats
15. Oh! (Feat. Busta Rhymes)
16. Never Forget Ya
17. Outro (Feat. D-12)


Review:
Obie Trice ist der glückliche Shady-Trittbrettfahrer, der die offenen Kapazitäten des 2003 mitten im Zentrum der HipHop-Szene stehenden Labels von Eminem füllt. Ein irgendwo ausgegrabener Niemand ist er deshalb nicht: Mitte der Neunziger treibt er sich bereits in Detroits Rap-Schuppen herum, unter anderem auch im Hip Hop Shop, einem Laden, in dem ein gewisser Proof, der Obie dazu bringt, unter seinem bürgerlichen Namen zu rappen, die Battles hostet. Er macht sich einen Namen und nimmt außerdem mit Producer MoSS Material auf, woraus einige Singles hervorgehen. Über Bizarre gelangen die an Eminems Ohren und schon ist Obie mit einem fetten Deal und Möglichkeiten für sein Debüt "Cheers" versehen, von denen er vormals nicht ansatzweise geträumt hätte.

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 Diese Möglichkeiten umfassen neben erstklassiger Promo vor allem illustre Produzenten und Gastbeiträge, die beispielsweise einen MoSS komplett überflüssig machen: Es produzieren Dr. Dre, Timbaland, Mr. Porter und zum Großteil der sich selbst zum Producer entwickelnde Mentor Eminem. Das ist Grund genug, sich nicht darüber zu beschweren, dass der etwa zur gleichen Zeit gesignte 50 Cent sein Album ein halbes Jahr früher veröffentlichen darf und mit Abstand mehr Aufmerksamkeit einfährt - unter Shadys Regiment nur der zweite Newcomer zu sein, ist wahrlich keine schlechte Position. Außerdem ist Obie bei weitem nicht so massentauglich wie 50 Cent, das "Well Known Asshole" ist weniger polarisierend, aber nicht minder unverblümt und mit losem Mundwerk ausgestattet. Nicht umsonst werden schon aufgrund der Existenz dieses Albums die Gläser erhoben, auf dass Obie einerseits die Korken knallen lässt, aber auch von seiner Heimat Detroit berichtet. Deshalb und vielleicht auch um falsche Vorstellungen/ Erwartungen von seiner Persönlichkeit aus dem Weg zu räumen, beginnt Obie mit "Average Man", das ihn als typischen Detroiter vorstellt ("I'm no gangster, I'm a average man / But be damned if I let 'em do me savage man / Before that I'm strapped and will challenge him / Cocked back and that gat will damage them"). Glorifiziert wird allerdings gar nichts, was spätestens "Don't Come Down" zeigt, das extrem vom verwendeten "When You Believe"-Sample geprägt ist und sich bei der eigenen Mutter dafür entschuldigt, dass diese ihn u.a. beim Dealen an den Straßenecken erleben musste. Auch dieser Track ist von Eminem produziert und zeigt solides Können, aber ebenso, dass Marshall nicht zur Weltelite gehört - der letzte Schliff fehlt oft. Dr. Dre kann man das nicht vorwerfen, der Doktor legt mit "The Set Up" meisterhaft ein einfaches und doch sofort im Gedächtnis bleibendes, überragendes Instrumental vor, zu dem Nates Hook und Obies Bordstein-Geschichte über eine verräterische Bekannte perfekt passen. Trotzdem fällt auf, dass Obie sich rap-technisch oft zurückhält, was in keinem Fall Höchstnoten zulässt. Seine Themengebiete sind das Hood-Leben, er selbst und die Damenwelt, was zumeist unterhaltsam angerichtet wird, aber keine Bonuspunkte einfährt und in Tracks wie dem halbgaren "Follow My Life" auf zu gemächliche Flows trifft. Die Sure-Shot-Komponente auf der LP heißt Dr. Dre, der mit seinen vier Beiträgen die Highlights markiert: Da wäre das noch recht verhaltene "Look In My Eyes" (kein Verlgeich zum ersten Nate-Auftritt), der absolute Hinhörer "Oh!" (in dem Obie sich wieder mit sich selbst beschäftigt) sowie "Shit Hits The Fan", das Dre dann auch noch nutzt, um eine Backpfeife Richtung Ja Rule zu senden. Der bekommt sowieso übers ganze Album hinweg immer wieder sein Fett weg, in "We All Die One Day" (das leider zu sehr nach 08/15-G-Unit klingt) wischt sich Eminem außerdem mit der Source den Allerwertesten ab. Weiterhin erwähnenswert ist das vollkommen missratene "Hands On You" und außerdem "Got Some Teeth" als poppige Party-Single und überraschenderweise Eminems bester Producer-Moment auf der Platte, der einige von Obies unrühmlicheren Weibergeschichten abhandelt, ansonsten aber verwandt mit "Bad Bitch" ist, das Timbaland als für ihn typische Arbeit beisteuert und das wieder im Club auf Jagd geht. "Lady" fordert zum bindungslosen Beischlaf (gespickt mit witzigen Lines, vor allem von Em) auf, die Episode mit den "Hoodrats" sollte selbsterklärend sein. Damit verbleibt noch ein "Outro" mit D-12, das die eigene Stellung feiert und auf den Rest (hier Ja Rule und R. Kelly) pfeift bzw. uriniert.

Wer den Obie Trice vor Shady-Zeiten schätzte, der sollte sich nicht zu viel von "Cheers" erwarten, denn während Obie durchaus in der Lage ist, zur Rap-Dampfwalze zu mutieren, rappt er sich hier nur selten richtig in Fahrt, während inhaltliche Großtaten höchstens bei einigen der unzähligen Momente warten, in denen Obie sich seiner diversen Begegnungen mit der Damenwelt erinnert. Dass Em viele der Beats (mit-)produziert, zeigt zwar, dass er sich für seinen Schützling ins Zeug legt und dabei nicht ideenlos bleibt, trotzdem ist sein Sound sofort von dem eines Dr. Dre differenzierbar und weder alleinstehend noch zusammen mit Obie die beste Wahl. Abgesehen davon macht Obie das Beste aus seiner Situation und nimmt ein gut durchhörbares Album auf, das keine großen Schwachstellen hat, für den Shady-Fan eine sinnige Anschaffung darstellt, insgesamt aber nicht optimal gealtert ist und ein paar glorreiche Momente zu wenig hat, um die großen Lorbeeren einzufahren.

6.1 / 10

Mobb Deep - Infamy


Release Date:
11. Dezember 2001

Label:
Loud Records

Tracklist:
01. Pray For Me (Feat. Lil' Mo)
02. Get Away
03. Bounce
04. Clap
05. Kill That Nigga
06. My Gats Spitting (Feat. Infamous Mobb)
07. Handcuffs
08. Hey Luv (Feat. 112)
09. The Learning (Burn) (Feat. Big Noyd & Vita)
10. Live Foul
11. Hurt Niggas (Feat. Big Noyd)
12. Get At Me
13. I Won't Fall
14. Crawlin
15. Nothing Like Home (Feat. Littles)
16. There I Go Again (Feat. Ron Isley) / So Long (Bonus)

Review:
Eigentlich marschieren Mobb Deep unter sehr guten Voraussetzungen ins neue Jahrtausend: Helden der Neunziger, die ihre Stellung und den Zuspruch von Fans und Kritikern auch mit dem vierten Album wahren konnten und immer noch zu den gewichtigsten Namen der Szene zählen. Zwar dreht man einen Film ("Murda Muzik"), der dann (vorerst) nicht erscheinen wird, doch Prodigys Solo-Ausflug gelingt mit dem Erreichen von Gold-Status doch recht gut. Medienträchtige Streitigkeiten gibt es ebenfalls noch, inzwischen ist es Jay-Z, der auf "The Blueprint" eine Breitseite gegen das QB-Duo (vor allem gegen P) feuert. Doch die Rap-Szene durchläuft einen schleichenden, aber gewaltigen Wandel, der Hardcore-Rapper wie Hav und P langsam aus dem Rampenlicht schiebt und (ironischerweise) gerade angepasste Sauber-Thugs wie Jigga beflügelt. In dieser Zeit erscheint also das fünfte Mobb-Album "Infamy".
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 Nachdem "H.N.I.C." alle möglichen Produzenten einlud hoffen die Fans nun also auf eine im Titel irgendwie mitschwingende Rückkehr zu "The Infamous"-Tagen und der entsprechenden Hardcore-Attitüde. Doch Loud Records, deren Logo hier zum letzten Mal das Back-Cover ziert, hatten wohl kein Vertrauen in diese Strategie. Außerdem geben Mobb Deep selbst Aussagen von sich, die von "Experimentierfreude" sprechen und verständnislose, verbohrte Fans auf die alten Scheiben verweisen. Übersetzt heißt das: Sei es nun aufgrund von Label-Vorgaben oder einiger durchgeschmorter Leitungen in der Logik-Abteilung der Mobb-Melonen, Gäste wie 112 oder Lil' Mo sprechen nicht nur auf dem Papier für einen Wandel beim Sound, auch faktisch schlägt "Infamy" einen wesentlich geglätteteren, zufälligerweise den Forderungen des Mainstreams angepassten Weg ein. Für den ist übrigens immer noch Havoc zu großen Teilen verantwortlich, Gastproduzenten sind EZ Elpee, ALC und ein noch recht unbekannter Scott Storch. Der Anfang ist dabei allerdings noch durchwegs ordentlich: "Pray For Me" knüpft genau da an, wo "Streets Raised Me" aufgehört hat und webt die mit Lil' Mo importierten R'n'B-Elemente einwandfrei in Havocs melancholisches Instrumental-Bett - da gibt's nichts zu meckern. Wohl aber daran, dass IMD einen qualitativen Sturz hinlegen, bei dem sie sich eigentlich sämtliche Knochen hätten brechen müssen. Den Anfang dieses Trauerspiels macht "Bounce", das mit seinem Titel sowohl hinsichtlich Klangbild als auch Kreativität genau ins Schwarze trifft. Was wollte hier erreicht werden? Will man Dunn-Talk mit Gigolo-Vibes verknüpfen? Jedenfalls sind Havocs Trademark-Snares, die oft den Kokon der Seele bisheriger Mobb-Deep-Songs bildeten, verschwunden, stattdessen klopfen sogar in einem Stück wie "Kill That Nigga", das wohl die roughe Street-Kundschaft bedienen soll, öde Drumlines durch die Gegend, während träge Bässe erfolglos die Abwesenheit einst so überragend und drohend eingesetzter Samples zu kaschieren suchen. Ein zweiter Faktor ist Prodigy, dem auf "Infamy" seine frühere Klasse erstmals vollständig abgeht. Ohne Zweifel, Stimmen verändern sich, aber wie P aus der Sicht eines müden Veteranen nicht über gefährlichere Lines als "Bitch ass nigga, I'll have you killed" hinauskommt, ist keinesfalls gutzuheißen. So ist die Safari durch die erste Hälfte der LP gesäumt von Belanglosigkeiten und nicht vorhandenen Highlights, ruft die in diesem Fall unnötigen Kulis von IM3 auf den Plan und passiert das unnötige und nicht mit "Pray For Me" vergleichbare "Hey Luv" (ein von Prodigy eröffnetes Liebeslied inklusive Bridge statt drittem Vers, bei dem 112 sich für "It's Over Now" revanchieren), um erst bei "The Learning (Burn)" einen sinnvollen Halt zu machen. Die erfolgreiche Album-Single meistert das Unmögliche: Eine Drumline mit Schmackes wahrt den Hardcore-Anspruch und zieht trotzdem triumphierend in den Club. Dazu gibt Murder-Inc.-Dame Vita (wohl sehr zu Hovas Missfallen) die Hook und Hav rappt seinen Partner an die Wand. Damit ist die Club-Episode abgeschlossen und während man aufgrund der zwei folgenden (schlecht produzierten und mit noch schlechteren Hooks versehenen) Songs schon Angst haben muss, wieder in der Wüste zu enden, kommt "Infamy" im hinteren Teil langsam in die Gänge: Der Alchemist bleibt in seinem einzigen Beitrag, "Get At Me", noch hinter seinen Möglichkeiten, Scott Storch dagegen zeigt in "I Won't Fall" in die richtige Richtung, was Hav zum starken "So Long" oder auch zu "Crawlin'" (das sich etwas an Prodigys "Can't Complain" anlehnt) anspornt, in dem P sogar einige halbherzige Worte ins Jigga-Büro schickt - wenngleich die brisante Geschichte großteils ignoriert wird. Dafür verbaut man Ron Isley angenehm in "There I Go Again".

Man muss es gar nicht erst groß ausschmücken: "Infamy" ist enttäuschend, zeitweise ist es sogar erschreckend schlecht. Wieso das teils so drastisch passiert, ist schwer zu erklären, denn wenngleich die auf höhere Massenverträglichkeit abzielenden Kompromisse ihren Tribut einfordern, sind es auch die in der ersten Albumhälfte aufgestellten, als Fortsetzung des MD-typischen Reality Rap gedachten Street-Tracks, die maßlos enttäuschen. Sämtliche Handlanger aus dem Infamous-Camp gehen noch mehr als erwartet unter, wesentlich schlimmer ist jedoch der erstmals voll einschlagende Tod des Prodigys der Neunziger. Nach den miserablen ersten zwei Dritteln ist es der hörenswerte hintere Teil, der "Infamy" den Kopf aus der Schlinge rettet und gerade noch in den neutralen Bereich hebt.

4.9 / 10

Sicknature - Honey I'm Home


Release Date:
09. Oktober 2007

Label:
Eigenvertrieb

Tracklist:
01. Intro
02. As Sick As It Gets
03. Shootin' The Breeze
04. Bring Back The Raw Hip Hop (Feat. Q-Unique & Ill Bill)
05. Zoom In (Feat. Invocator)
06. Really Really
07. Never Say Never At All (Feat. Slaine)
08. Cycle (Feat. Dialek)
09. They Don't Know (Feat. Punchline & HAPH)
10. The Brain Wash (Feat. Capione)
11. Expression Of Words (Feat. A-Quil)
12. Room of The Past

Review:
Heutzutage kennt man Sicknature als Teil der Snowgoons-Crew und gefragtesten dänischen Producer in amerikanischen Kreisen. Doch 2007 war dem noch nicht so und schon gar nicht zu Beginn von Sicks Karriere. Denn bereits 1998 veröffentlicht er Material, damals allerdings noch unter dem Namen Acorn. Nach einem weiteren Album ein Jahr später ("Limitless Prospects") kommt im Jahr 2001 "The Sicknature" sowie haufenweise Stress mit Labels. Der Albumtitel wird zum eigenen Namen, 2005 folgt "The Outbreak", ein Jahr später kann er seine bedeutsame erste Zusammenarbeit mit Ill Bill vermelden, was schließlich die später ausschlaggebenden internationalen Tore öffnet. Da Sick seine bisherigen Werke allesamt nicht als Debütalbum zählt, geht er ein ebensolches 2007 mit "Honey I'm Home" an.
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 Diesmal gibt es kein dänisches Label, das hinter dem Album steht, Sicknature setzt auf Eigenvertrieb und somit auch komplette künstlerische Freiheit - daher auch der Titel "Honey I'm Home", der eine Rückkehr zum unverwässerten Hardcore-HipHop markiert, denn genau in diesen Gefilden ist Sicknature zuhause. Als weiteres Merkmal produziert Jeppe Andersen fast alle Tracks selbst, denn da es zu Zeiten seiner ersten Rap-Schritte keine Produzenten gab, fing Sick selbst damit an und schärfte so sein Können in dieser Disziplin beständig weiter. Unklarheiten darüber, was einen hier eigentlich erwartet, sollten durch die Referenzen aufgeklärt werden: Sick steht in den Credits von Ill Bills "Black Metal", produziert zusammen mit Bill auf der zweiten AOTP-Scheibe und hat auch beim gerade im Aufnahmestadium befindlichen "The Hour Of Reprisal" seine Finger im Spiel. Es regiert also grobschlächtiger Eastcoast-HipHop, der in einer Zeit als AOTP-ähnlich beschrieben werden darf, in der das noch als Kompliment zu verstehen ist. Sicknature selbst hat keine tiefe Stimme und klingt eher wie eine Light Version von Slaine, weswegen das mit schmetternden Fanfaren gut ausgestattete "Never Say Never At All" ("I know dudes with bullet wounds that still got a chance to fight / And got a brother in law that just beat cancer twice") auch eine gute Kombo am Mic abgibt. Dass ansonsten ein guter Teil der LP die HipHop-Szene selbst und Sicknatures Vorstellungen davon behandelt, dürfte kaum überraschen, resultiert aber in ausgesprochen überzeugenden Songs: "Shootin' The Breeze" besticht mit umfassendem, ausgefallenem Voice-Sample und einem munter drauf los reimendem Sicknature, der die Inhaltslosigkeit des Rapper-Gros anprangert, "They Don't Know" kommt mit einer typischen Pitch-Voice-Hook sicher nach Hause. Das größte Aushängeschild der Platte ist aber fraglos "Bring Back The Raw Hip Hop", das nicht nur das Anliegen der Platte kurz und bündig aufsummiert, sondern mit einem furios losgaloppierenden Streicher-Ensemble und Premo-ähnlich zusammengescratchter Hook vorführt, wie man den wild-aufbrausenden Stil, der in den Folgejahren von der AOTP und AOTP-Kopien so oft versucht und wiedergekäut wurde, richtig angeht. Dazu gibt es noch einen schaustehlenden Auftritt von Q-Unique mit Zeilen wie "My identity is decorated with Rock Steady credentials, Zulu infinity lessons, droppin' heavy essentials / I was born and raised on the pioneers, while the old school for some doesn't stretch for five years / Truly the last of a dying breed, the messiah of HipHop, coming to save those who cry in need". Über das ganze Album hinweg fällt auf, wie unverbraucht Sicknatures Herangehensweise an ein ausgelutschtes Formular anmutet, was nichts daran ändert, dass sich auch der eine oder andere austauschbare Song findet ("The Cycle" oder "Really Really", das den Fake-Gangstern auf die Finger klopft). Außerdem schlägt sich noch die Affinität zum Metal, die auf die Kappe des großen Bruders geht, im von Jacob Hansen produzierten "Zoom In" durch - nicht unbedingt schlecht, aber in keinster Weise ins Album passend. Schnitzer leistet Sicknature sich sonst keine mehr, vor allem das dem Intro (das kurz alle Song-Titel in einem sehr gestellten Text aneinanderreiht) folgende "As Sick As It Gets" poltert nochmals erfreulich kräftig durch die Boxen.

Dafür, dass Sicknature als Rapper erstmal eine unauffällige Erscheinung macht, legt er auf einigen Tracks gut los, und wieso Ill Bill ihn als Produktionspartner so schätzt, wird auf diesem kleinen Album ebenfalls klar. Dass Sicknature die üblichen Themen streift (an einer Stelle kommt kurz die lokale Politik zur Sprache), verwundert ebensowenig wie es stört - er ist einfach ein typischer Real-Keeper. Das soll an dieser Stelle nicht negativ gemeint sein, denn für sein Album reichen die guten Ideen vollkommen aus. Die Gäste sind gut gewählt, womit das Zielpublikum eigentlich bedenkenlos zugreifen darf. Neben einigen schwächeren Songs ist der einzige Kritikpunkt die fehlende Geschlossenheit, der man durch bessere Gliederung und Weglassen des Metal-Crossovers entgegenwirken hätte können. Doch selbst mit diesen Makeln ist "Honey I'm Home" noch empfehlenswert.

6.5 / 10

Black Lotus - Lotus Notes (1997-1999)


Release Date:
01. Dezember 2005

Label:
Hidden Aspects Entertainment / Chamber Musik Records

Tracklist:
01. Black Lo (Intro)
02. Constantly Rising
03. Live Rather Than Die
04. 18 To Party
05. Basic Flow
06. Remain Here (Feat. Jim Kelly)
07. Way I Feel
08. Seen And Heard
09. I Know
10. If These Walls Could Talk
11. Stress Ya Got (Whole Lot)

Review:
Wen die Geschichte von Black Lotus interessiert, der muss sich zuerst mit den Beggas auseinandersetzen. Die sind eine neunköpfige Gruppierung aus der HipHop-Steppe Washington, D.C., die sich 1993 um Father Lord alias Wu Chi formiert, der zu jener Zeit als DJ, Emcee und Producer tätig ist und die restlichen, mit HipHop aufgewachsenen Mitglieder rekrutiert und teils auch lehrt. Dank Father Lord besteht außerdem eine Verbindung zu den Sunz Of Man, was 1998 zum wohlbekannten Auftritt auf dem "Swarm"-Wu-Sampler führt. Doch da hat Father Lord schon bei einem Autounfall mit einem trunkenen Fahrer den Tod gefunden, was das talentierte Kollektiv kopf- und halbwegs orientierungslos zurücklässt. Die Verbindung zum Clan reißt ab, doch Long Axe, Dragonfly und Bolo's Kitchen haben zu diesem Zeitpunkt schon als Beggas-Ableger Black Lotus einiges Material aufgenommen. Das Trio stößt dann zum '98 gegründeten Kollektiv Hidden Aspects, das die Überreste der Beggas weiterführen soll, aber vorerst nichts von sich hören lässt. Doch alle Künstler arbeiten fleißig weiter und 2005 entschließt man sich zusammen mit Chamber Musik, einige der alten Aufnahmen zu veröffentlichen.
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 Die Rollenverteilung ist simpel: Bolo's Kitchen a.k.a. Bolo Gah, der bei Father Lord in Lehre gegangen war, produzierte zu jener Zeit alle Tracks, während Long Axe und Dragonfly das dynamische Duo am Mic abgeben, das schon dem Father Lord gewidmeten "On The Strength" seine überragenden ersten zwei Verse spendierte. Wer nun Probleme hat, sich ein Bild davon zu machen, welcher HipHop-Wind in der Landeshauptstadt Amerikas weht, dem sei gesagt, dass das kurzzeitige Signing bei Wu-Tang Records nicht von ungefähr kam, denn der ganze Begga Clan steht für klassischen Eastcoast-Sound, was folglich auch für Black Lotus gilt, die ebenfalls einwandfrei ins Wu-Universum gepasst hätten, deshalb aber nicht auf Martial-Arts-Einbindung setzen, sondern den Spätneunziger-Sound kalter Tage in windigen Innenstadtschluchten leben. Dabei klingen sie, wie man das von so vielen Kollegen ebenfalls kennt, wesentlich älter als die Mitt- und Spätzwanziger, die sie zu jener Zeit sind, denn erlebt hat man schon (zu) viel und füllt damit auch die Zeilen für hiesige Tracks. "At 7 AM, I hear the world outside / The bums fighting with the rats and mishaps to stay alive", so begrüßt Long Axe den Hörer in ein Album, dem der Schmerz des Alltags anhaftet. Schnell stellt man fest, dass man es mit zwei sehr fähigen, nicht außergewöhnlich aber eindringlich rappenden Straßenpoeten zu tun hat, derer es wesentlich eingeschränktere gibt - so ist die abschließende Message des mit langsamen, fernen Bläsern perfekt als Vorstellung geeigneten "Constantly Rising" folgende: "Pick the books up y'all, drop the guns". An dieser Stelle muss nun auch die Produktion von Bolo Gah gewürdigt werden, denn der Produzent, der den Hörer für die Dauer des Albums in einen Lo-Fi-Sumpf bittet, etabliert schnell einen eigenen Sound, der oft nicht sehr Drum-intensiv ist, vor allem die verschiedenen Samples in den Vordergrund rückt und insgesamt als dezent aber effektiv auffällt. Das ist in "Remain Here" mit Begga-Kollege Jim Kelly der Fall, aber auch in "I Know", das den Grundton des Albums mit nachdenklichem Klanggewand repräsentiert, wohingegen "Way I Feel" als softe Nummer danebengeht. Dazu bedienen sich die beiden Emcees cleverer Spielereien mit dem Tracktitel, die in stetem und überraschend geistreichem Hin und Her ausgetauscht werden. Seinen Höhepunkt findet das in "Seen And Heard", wo sowohl Axe als auch Dragonfly je in einem Vers ihre Zeilen nur mit "I've Seen" bzw. "I've Heard" beginnen, was zu einer beachtlichen Ansammlung von Gedankenfetzen führt. Ebenfalls typisch für das Album ist es, wie "If These Walls Could Talk" schlichtweg nach einer gereimten Unterhaltung klingt, in der Axe und DF über das Leben philosophieren. Die stärksten Momente sind allerdings die, in denen Bolo's Melancholie auf die vom leben ausgelaugten MCs trifft: "Stress Ya Got" summiert das Drama mit der Mutter des eigenen Sohnes auf ("I know mad brothers in war wit baby mothers / Some threw the towel in, others still doubting / You made a child in hopes to be a fam / But now understand, love don't come, man"), doch noch mehr das atemberaubend packende "18 To Party" mit einem bärenstark aufspielenden Long Axe (der den Hörer mit weicher Stimme und weichem Flow sofort für sich gewinnt), das beweist, dass Black Lotus nicht nur einen Sinn für poetische Strophen, sondern auch für präzise und sinnige Refrains haben: "You gotta be 18 to party, 21 to drink / 25 we struggling, old enough to think / 30 years, you wishing you 17 again / At 45, you wanna start over again".

Die Intensität dieser Highlights erreichen Black Lotus leider nur kurzzeitig, doch auf dem kompletten Album regiert eine einheitliche Stimmung, die ein recht klares und hartes Bild des Lebens in Washington, D.C. vermittelt. Rückblickend ist es umso mehr ein Jammer, dass Father Lord so früh das Zeitliche segnete, denn mit ihm wäre diesen schwer talentierten Jungs wahrscheinlich wesentlich mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden. Dabei sind Black Lotus ganz sicherlich keine Innovatoren oder in irgendeiner Weise sonderlich originell - was hier so überzeugt ist die schlichte aber unverfälscht direkte Schilderung der Realität der Akteure, die in ihrem grauen und doch durchdringenden Gewand als Inbegriff des zeitgemäßen Ostküsten-HipHops für sich spricht.

6.8 / 10

Bless 1 - Starving Artist


Release Date:
06. September 2007

Label:
Eigenvertrieb / Free Download

Tracklist:
01. A Place In The Sun (Feat. Infini)
02. Never Give Up
03. Starvin Artist
04. Angular Slang II
05. We
06. The Hunger
07. Works
08. The 7th Day
09. Return To The Source (Feat. Kissey Asplund)
10. My Existence

Review:
Wer Mitte 2007 im Chicagoer Untergrund die Augen und Ohren offenhielt, der hat eventuell von Aaron Brown alias Bless 1 gehört, der zu jener Zeit seinen ersten und bis dato einzigen echten Schritt in die Rap-Welt unternahm. Das Schreiben liegt ihm im Blut und wird seit der High School verfolgt, dort findet er auch Spaß an Freestyles und Ciphern. Doch die Versuche, sich mit lokalen Beat-Bastlern kurzzuschließen, misslingen, weswegen er sich das Produzieren selbst beibringt und außerdem via Myspace internationale Kontakte knüpft. So auch mit dem Pariser Producer Powell (alias Rhythm From Art), der ihn anschreibt, nachdem er Bless' Beats hört. Über diese Adresse bildet sich dann auch das nicht allzu lange bestehende Internet-Kollektiv Digital Invaders (u.a. mit dem Düsseldorfer Suff Daddy und dem Pariser Lokid), der wichtigste Partner bleibt allerdings Powell, mit dem er "Starving Artist" aufnimmt.
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 Eigentlich sollte das Album schon im Juni erscheinen, doch ein (glücklicherweise ohne große Schäden überstandener) Festplatten-Crash bei Powell, der neun von zehn Beats (einer kommt von Bless selbst) beiträgt, verzögert die Sache. Die wichtigere Nachricht ist, dass "Starving Artist" kostenlos ist. Die Halbherzigkeit, mit der solche Umsonstprojekte oft angegangen werden, sollte man Bless allerdings nicht unterstellen. Ebensowenig handelt es sich um ein typisches Chicago-Release - vielleicht auch der Grund, warum es mit den Kollegen aus der Nachbarschaft nicht so recht geklappt hat. Auch mit oft in Chi-City gesehenen Battle-Raps hat Bless nichts am Hut, wie der Titel schon verrät regiert vielmehr der harte Alltag eines regulären, unterdurchschnittlich verdienenden Bürgers. Ganz recht, es geht nicht um das untugendhafte Leben eines Kleinganoven, der vom Dealer zum Rapper aufgestiegen ist, sondern schlichtweg um die Mühen von Bless als "Starving Artist", die in knappen 30 Minuten als BoomBap-Blues geschildert werden. Das umfasst eine tiefe Stimme, die mit behutsamem Flow direkt die richtige Stimmung garantiert, die mit Zeilen wie "I got a dollar in my pocket and I'm riding the train / I know you hear me homie, but you ain't feeling my pain" genährt wird. Die restlichen Tracks, die auf Powells Kappe gehen, zeichnen sich durch dumpfe Kick, eine gedrückte Atmosphäre mit fernem Lo-Fi-Charakter und sehr gefühlvolle, angemessen subtile Samples aus. "Never Give Up" verkörpert das Album fast komplett: Das graue Leben vor der eigenen Haustür aus der Sicht eines Afro-Amerikaners wird in nüchterner und doch leicht klagender Form vorgetragen, trotzdem kommt Bless zu dem Schluss, dass der alltägliche Kampf weitergehen muss. Das erkennt auch "We", das ein eindringliches Bild von Bless' deprimierender Umwelt malt, von Powell aber mit einem wunderschönen, aufmunternden Beat versehen wird. Bless selbst legt zu keinem Zeitpunkt Wert darauf, als überragender MC zu glänzen, im Sinne dieses Machwerks läge das sowieso nicht. Sein steter Flow ist es, der den Hörer in die Welt der Straßen Chicagos saugt und Songs wie "Works" auf diese Weise intensiviert. Da das Themengebiet eingeschränkt ist, sind sich einige Songs ähnlich, weswegen die weniger stark produzierten Gefahr laufen, übergangen zu werden; doch glücklicherweise ist das Grundniveau mit Ausnahme des grenzwertig kitschigen "Return To The Source" (mit einem deplatzierten Sax) hoch genug, dass Bless sich diese thematische Uniform leisten kann. So erklärt "The Hunger", woher die Affinität zum Drogen-Dealen kommt, wohingegen sich Bless selbst dieser Versuchung erwehrt, in "My Existence" schließlich wartet der krönende Abschluss, in dem Powell mit seiner besten Arbeit der LP eine verhangen-trostlose Szenerie erschafft und Bless verbittert und schwermütig nach dem tieferen Sinn fragt:

"Coveting wealth, sometimes grabs the best of me
European sedans trimmed in lacquered mahogany
Dreams of travel, snapping pictures for the memories
Side effects when working from nine to five in misery
Mechanical behavior, the clock slides forward
Punching out and then we run fast towards
Relaxation, but only if the job ain't important
Otherwise we'd rather stay because our work is rewarding
I refuse to make this journey a prison with the dollar as a warden
Holding keys to doors not open
Unequipped with all the answers, but I'm not done learning
A deep thirst got my insides burning
What's the meaning of my existence, the reason that I currently stand
Breathe air, still walking this land?
Could it be that my existence serves a purpose greater than I?
Maybe I'm just digging too deep for why
"

Inzwischen hat sich Bless eher dem Produzieren von Musik für Video-Essays zugewendet, doch man kann nur hoffen, dass der Emcee aus der Westside Chicagos nochmal ein Projekt wie dieses hier angeht, denn es ist überraschend gut. Natürlich eignet es sich mehr für den Einzelnen, natürlich muss man in der entsprechenden Stimmung sein, denn "Starving Artist" ist der Soundtrack für die schwereren Tage des Lebens, gibt diesen aber ein ungemein gut anhörbares Gesicht. Bless 1 ist nicht der beste MC der Welt, wohl aber ein sehr wortgewandter, dessen Auftreten mehr als genug Charisma beweist. "Starving Artist" ist nicht perfekt, aber eine fenie Sache - und das nicht nur relativ dazu, dass es umsonst ist. Trotzdem gehört es zu den besten kostenlosen Releases der letzten Jahre.

6.9 / 10

Aesop Rock - Music For Earthworms


Release Date:
1997

Label:
Eigenvertrieb

Tracklist:
01. Abandon All Hope
02. Wake Up Call (Feat. Percee P)
03. The Substance
04. Merit
05. Night Train Promo
06. Live On 89.9 FM Night Train
07. Coward Of The Year (Remix) (Feat. The Controls & Percee P)
08. Shere Kahn (Feat. The Controls)
09. Antisocial
10. Coordinates
11. Plastic Soldiers
12. Troubled Waters

Review:
Einer der einzigartigsten Künstler unseres geliebten Genres hört auf den Namen Aesop Rock, den Ian Bavitz von einer Rolle in einem von Freunden gedrehten Film erhält. Musikalisch wird seine Jugend von seinem älteren Bruder und dessen Musik geprägt, was ihn mit Run-D.M.C. und den Beastie Boys vertraut macht. Da er auf der High School (wie alle anderen auch) intensiv mit HipHop in Berührung kommt, fängt er irgendwann für und im Kreise seiner Freunde selbst an zu rappen und verfolgt dieses Hobby nebenbei weiter. Denn primär versucht er sich in einem Studium in Boston (Angewandte Kunst), wird im New Yorker Underground aber immer populärer, was ihn (neben dem Drängen von seinem kompletten Umfeld) 1997 schließlich dazu veranlasst, das heute sehr begehrte "Music For Earthworms" zusammenzustellen, damit er auf Shows etwas zum Verkaufen hat.
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 Tatsächlich verkaufte Aes von diesem Sprungbrett in die Szene nur zwei- bis dreihundert Einheiten und das Cover sieht so stümperhaft aus, weil er die vorigen Versionen mehrmals verlegte und dann schnell provisorische neue zu basteln hatte. Man sollte "Music For Earthworms" in jedem Fall nicht als Debütalbum ansehen, es ist die oben beschriebene, sehr zweckgebundene Angelegenheit, die nichtsdestoweniger die ersten Schritte eines späteren Underground-Helden und dessen damals schon unleugbar vorhandenes Talent dokumentiert. Produziert hat er einen Track selbst, doch zur damaligen Zeit fing er gerade erst das Produzieren an, der schon etwas fortgeschrittenere Blockhead trägt ebenfalls einmal bei, doch der Hauptteil kommt von Dub-L, der im damaligen Freundeskreis (The Overground, zu dem auch Block und Aes zählten) ursprünglich für die Beats verantwortlich war. Man sollte in keinem Fall ein geschlossenes Album erwarten, "Music For Earthworms" ist Aesops Art des Braggings bzw. Shit-Talkings, stellt schon seinen ureigenen Flow und den markanten Stimmeinsatz zur Schau, lebt aber noch auf teils unausgereiften Beats, wie schon im Falle des Openers "Abandon All Hope" ("I live for the moment of truth when Big Willy rapper acknowledges failure and states 'Goddamn my shit is trash'"), der sich simpel und mit starkem Lo-Fi-Flair vorstellt. Der nimmt im selbstproduzierten "Antisocial" mal schaurig-düstere Züge an (hier rappt Aesop erstmals "Must not sleep, must warn others") und reicht bis zum heiteren Schlagabtausch mit Percee P im Kopfnicker "Wake Up Call". Das Problem dabei ist, dass es sich beizeiten anhört, als seien die Beats nur notwendiges Beiwerk, um Aesop zu begleiten. Der ergeht sich in seinen komplexen Raps, die er teils nur im ihrer schillernden Komplexität wegen zusammenstöpselt. Ganz deutlich wird das auf "Live From 89.9 FM Night Train", das einen Freestyle auf WKCR 89.9 in grenzwertiger Sound-Qualität bietet und natürlich nur die lyrischen Skills betonen will. Insgesamt wesentlich besser ist da schon die "Night Train Promo", für die Dub-L ganze Arbeit leistet und ein trüb vor sich hinwaberndes Instrumental aus seinen Apparaturen zaubert, das sich bestens mit Aesop verträgt. An anderen Stellen gilt das allerdings nicht: "Coordinates" klingt ebenso wie "Merit" etwas unbeholfen und ist in jedem Fall anstrengend, womit es auch keinen Spaß mehr macht, Aesop zu lauschen. Dann wären da noch die zwei Tracks mit den Controls, die als für den HipHop-Fan mäßig berauschender TripHop ins Programm platzen und wohl als weitere Referenz Aesops Vielseitigkeit zeigen sollen. Im kriechend langsamen "The Substance" spielt ein einsamer Bass vor sich hin, was selbst Aesop streckenweise zu einer eher müden Vorstellung verleitet und auch durch eine Double-Time-Einlage nicht gerettet wird. Abgeschlossen wird die Regenwurmmusik zuerst durch Blockheads Viola in "Plastic Soldiers" sowie mit dem Highlight der Platte, "Troubled Waters", für das Dub-L ein großartig schwermütiges Edelstück aus der Lo-Fi-Kiste zieht und Aesop in abstrakte Welten aufbricht:

"You replicas overlooking the guidelines of acoustics
Miserable attempts result in miserable conclusions
Paragon pen dragon tactician on freeform
Then a comfortable silence try to combat cliques
[...]
I've seen misery, I've seen disgust, dust ridden ruins
Iron clad oracle test three COM unit disperse silently
Over-confidence leads to irony
Plot twist full hardy Icarus shifted in facets of my form
"

"Music For Earthworms" schafft in erster Linie das, wofür es gedacht war: Es stellt Aesop Rock vor. Schon in seinen jungen Jahren pflegt er seinen auch spätere Alben veredelnden Stil, die Betonung bei seinen Raps hat sich seither kaum geändert. Darüber hinaus wird auch schon die musikalische Blickrichtung, die die folgenden Releases auszeichnen wird, ersichtlich und führt zu einigen überragenden Momenten. Genauso gibt es allerdings weniger glorreiche Minuten, in denen die Umsetzung misslingt. Auch die Inklusion der beiden TripHop-Songs ist nur bedingt sinnvoll, sorgt auf jeden Fall dafür, dass man nicht das Gefühl bekommt, hier auf einem Album zu gastieren. Deshalb ist "Music For Earthworms" zwar eine überwiegend gute, aber etwas durchwachsene Angelegenheit, die in jedem Fall schon oft die Klasse von Aesop zeigt, weswegen ein Anhören allemal lohnt.

6.4 / 10