Release Date:
1999
Label:
Navigators Inc.
Tracklist:
01. Exit Into
02. Ultraviolet Light
03. Womanism (Feat. Seven Star)
04. Servant Of The Center
05. Bioluminescence
06. Revolt
07. Cyclist
08. Discovery of Sole
09. Mind Virus
10. Vibrance
11. Further
12. Agents
13. Enchantment
14. The Voices In My Head
15. Inciting
Review:
Richmond Heights zu Beginn der Neunziger: Während in Sachen HipHop in ganz Florida der Miami Bass regiert, erhält ein gewisser Tory Jackson von seinem Cousin Tapes aus New York, was direkten Einfluss auf den Stil des sich im Verlaufe der Dekade als Stres mit seiner Crew The All in der lokalen Untergrundszene Miamis einen Namen machenden Rapper hat. The All bestehen im Kern noch aus Plex sowie Habib The Mysti alias Uday und Equate alias Bernbiz (das hintere Duo wird später als Evolver tätig sein). Mit einer selbst finanzierten EP generiert man einen kleinen Buzz und legt damit den Grundstein der in Form von Releases dokumentierten Alternativ-Szene Miamis. Es folgt die Gründung von Navigators Inc., das als Label und Fusion aus Gleichgesinnten (im Bunde sind noch Plex' ebenfalls schon bestehende Gruppe Algorithm sowie Seven Star) als Plattform dienen soll. Erstes Release bildet "Depth Perception", das Debüt der als Spirit Agent auflaufenden Stres und Plex.
WRITTEN FOR Rap4Fame
Eine Sache sei gleich zu Beginn festgehalten: Spirit Agent ist anders,
als man es erwarten würde, wenn Heads aus Florida vom New York der
Frühneunziger beeinflusst sind. Die Kombo an sich - Plex Luthor als
Produzent und Stres als Rapper - ist ganz und gar gewöhnlich, doch das
war's dann auch schon. Ein erster Hinweis ist der Name: Mit
Spiritualität hat die Scheibe nichts zu tun, "Spirit" meint das
Unperzipierte, Unformulierte, Unbekannte, das den Menschen umgibt, Stres
ist der "Agent", der Übersetzer, dessen Output seine Raps sind. Dieser
hochtrabenden Maxime lassen Plex und Stres aber auch direkt Taten
folgen, nicht etwa in einer wissenschaftlichen Abhandlung, sondern in
musikalisch-dichterischer Essenz. Hier treffen sich die kongenialen
Geister eines Sound-Architekten, der sich Zeit beim Basteln seiner Beats
nimmt und selbige nur auf seinen momentanen Emotionen aufbaut, um mit
exklusiver, ausgefallener, unverbrauchter Arbeit aufzuwarten, und eines
Poeten, der mit einem einzigartigen Stil das Protokoll tiefster
Kontemplation vor dem Hörer ausrollt. "The mind wanders where logic can't solicit".
Eine Kumulation unwahrscheinlich tiefgründiger Beats trifft auf
lyrische Ergüsse, die sich dank bedachter Eloquenz ungemein umfassend
erstrecken. Feste Themen und Songkonzepte ergeben sich dabei kaum, die
Ausnahme ist "Womanism", das dem schönen Geschlecht auf noble Art
schmeichelt und zum starken Beginn des Albums zählt. Doch es wird noch
besser. Denn für Fehler haben Spirit Agent weder Zeit noch Platz. In
ihrem bilateralen Zusammenarbeiten hatten sie kaum je etwas an dem
Beitrag des anderen auszusetzen, und das aus gutem Grund. Schon mit den
ersten Sekunden knospt dieses Album, nur um wenig später aufzublühen in
einer sonderbar beruhigenden, meditativen Art, dem Spiegel von Plex'
Gemütszustand, in dem sich Flöten, Klavier und sachte Streicher die Hand
reichen, nur um Stres' Worten zu lauschen, die in nicht minder ruhiger
Art gesprochen werden und dabei die Schablone von Bars und Endreimen oft
links liegen lassen - das perfekte Arrangement von in Lo-Fi-Laken
gebetteten Samples fordert nicht danach. So baut das Klavier aus "Cyclist" zum melancholischen, selbstreflektierenden "Discovery Of Sole"
auf, fließt das ganze Album ohne die kleinste Unstetigkeit voran, ohne
je unnatürlich oder gezwungen zu klingen. Für die ergreifende Stimmung
von "Enchantment" Worte zu finden, fällt schwer. Shades Lachen zu
Beginn, Plex' surrendes Instrumental mit den hintergründig
aufsteigenden Wasserblasen - so klingt HipHop-Seelenfrieden. Shade
(Plex' damalige Freundin) findet mit einem Intro auf Französisch für "Voices In My Head" dann auch den rechten Übergang, auf dass sich das Album bis zu den drückenden Streichern in "Inciting" keine Blöße gibt und an dieser Stelle noch mit einem Zitat aus dem ekstatischen, frohsinnigen "Vibrance", welches das Wesen dieses Albums angemessen repräsentiert, beschrieben sei:
"The analytical tongue, critical as lung respiration
Political among no hypocritical sung intonation
Slung from my imagination, hung to esthetics
My tongue in moderation, it is clung to poetics
The synthetics are pathetic, they falter from the start
I alter the genetics of this art"
"Is this art or trash?" fragt Stres und könnte dabei keine
eindeutigere Antwort erhalten. Nicht nur ist dieses Album Kunst, es ist
zudem Pionierarbeit, das erste Manifest der in den folgenden Jahren
recht lebendigen Untergrundszene Miamis. Der Einfluss auf Gruppen wie
Cyne ist sehr naheliegend. An "Depth Perception" kam in dieser Form
jedoch kein Album mehr (nicht aus Miami und von anderswo erst recht
nicht) heran. Trotz des Equipments (das nicht das hochwertigste war) und
des sich ergebenden, durch das ganze Album ziehenden Lo-Fi-Sounds -
oder gerade deswegen - gibt es hier nichts zu verbessern. Obwohl direkt
im Anschluss ein zweites Album geplant war, kam es nur noch zu der
ebenfalls sehr hörenswerten "Input/Output EP", dann löste sich das Duo
auf, Navigators Inc. schloss ebenfalls recht bald die Pforten. Doch aus
diesem Release gingen indirekt Counterflow und zu gewissem Grad auch die
Beta Bodega Coalition hervor, was der Welt in der Folgezeit weitere
hochwertige Releases aus Miami bescheren sollte.
9.4 / 10