Samstag, 28. Juli 2012

All Natural - Second Nature




Release Date:
24. April 2001

Label:
All Natural Inc. / Thrill Jockey

Tracklist:
01. Second Nature
02. The Stick-Up
03. Think Again
04. Queens Get The Money (Feat. Spotlite)
05. Elements Of Style (Feat. Iomos Marad & Allstar The Fabulous)
06. The Next Mile
07. Vegetarian (Feat. Tone The Strategist)
08. Return Of The Avenger
09. Mr. Sexy (Feat. Allstar The Fabulous)
10. Here's The Hate On Chicago
11. Ill Advisory (Feat. J.U.I.C.E.)
12. Chatham (Feat. O Type Star & Mr. Greenweedz)
13. 01/21/01
14. Stellar
15. Uncle Sam (Feat. Slug)
16. Renaissance (Feat. Lone Catalysts)
17. Liquid Paper II
18. Godspeed
19. Future Is Now



Review:
Was macht man als Rap-Act, wenn dem ersten, independent veröffentlichten Album überdurchschnittlicher Erfolg beschieden war? Ganz einfach, man holt die Crew ins Boot. Im Falle All Natural heißt das, das vorsichtig und in erster Linie als Reaktion auf die Wild-Pitch-Situation aufgezogene All Natural Inc. zum vollwertigen Label aufkeimen zu lassen und Künstler hinzuzufügen, die man schnell als den Family Tree vorstellt. Und dann wird durchgestartet. Zumindest in der Theorie. In der Praxis operieren Capital D und Tone B. Nimble immer noch auf Low-Budget-Basis und sind sich keinesfalls sicher, wie erfolgreich die Musikkarrieren verlaufen werden. Immerhin bringt man im neuen Jahrtausend einen Deal mit Thrill Jockey (sowie interessanterweise einen Vertriebsdeal mit Fat Beats für das Vinyl-Release) zustande und beschert der Welt "Second Nature".
 
WRITTEN FOR Rap4Fame
 
 "Second Nature" bezieht sich nicht auf den Fakt, dass dieses das Zweitlingswerk des Chicagoer Duos ist, sondern meint das Wesen der HipHop-Musik, die für All Nat so alltäglich und natürlich ist, dass sie quasi zur zweiten Haut geworden ist - zum eigenen Namen passt dieses Konzept natürlich auch super. Jeder, der "No Additives, No Preservatives" kennt, der weiß, wie dieser lebenserhaltende HipHop aussieht, und vor allem wie er nicht aussieht. Schließt man Chicago's Gangsta-Rap-Schiene aus, dann repräsentieren All Nat den Sound der Stadt so gut wie kaum jemand, sie verbinden kluge Lyrics mit dem ungeschliffenen Sound, der als Markenzeichen der Metropole, die zwischen den Küsten ihr Schattendasein fristet, zählt. Als Produzenten steigen Memo und Panik von den Molemen in den Ring und leisten damit G(riot) (einem der Family-Tree-Künstler) sowie Cap D und Tone selbst Gesellschaft, am Mic regiert ein sich mit nur wenigen externen Gästen umgebender Cap, die Scratches legt dafür Tone B. Nimble komplett. Cap selbst behauptet, dieses Album sei nochmal eine Steigerung zum Debüt, und wenngleich man solchen Aussagen zumeist kein Gehör schenken darf, trifft er damit den Nagel auf den Kopf: Seine Raps fließen noch intensiver, scheinen weder Punkt noch Komma zu kennen und haben an Aufgewecktheit selbstverständlich nichts verloren, die Instrumentals reichen von bedrohlich-roh bis hin zu sinnend-jazzig und passen trotzdem wunderbar unter ein Dach, welches wiederum von All Natural aufgespannt wird. Ganz grob lässt sich die Scheibe dabei in einen aufrührerischeren vorderen und einen gezügelteren hinteren Teil gliedern. Anfangs geht jedenfalls erstmal ordentlich die Post ab: Der "Stick-Up", den All Nat durchziehen, geht dabei aber vollkommen ohne Schießeisen vonstatten, was das Intro offenbart, in dem der Fam Tree kurz davor ist, mit Mics bewaffnet einen Club zu stürmen. Nichtsdestoweniger ist Panik's "Stick-Up" ein furioser Sturm, eine wahre Hymne, in der von den Streichern über die Scratches bis hin zu Cap's eiskalter Performance alles perfekt ineinandergreift. Ähnliches geschieht in "Vegetarian", für das Cap ein weiteres düster-bombastisches Instrumental entfesselt. "Mr. Sexy" dagegen läuft ganz klassisch über einen eingängigen Piano-Loop ab und nimmt Stilwandel durchlaufende, trendorientierte Ex-Thugs und Möchtegern-Playboys aufs Korn. Den Gold-Diggern widmet man sich dagegen mit dem relaxten "Queens Get The Money" ("and broads get the boot"), während "Think Again" mit dichter Streicher-Atmosphäre aufwartet, die sich mit Cap's stetem, cleverem Wortspiel verwebt. Was geschieht weiter? Die All-Nat-Familie wird vorgestellt und weiß sich zu verkaufen, mit Chicago-Altmeistern Juice und O Type Star klopft man die zwei wunderschönen Kopfnicker "Ill Advisory" und "Clatham" aus den Boxen, Slug schaut für eine sarkastische Personifizierung des "Uncle Sam" vorbei und J. Rawls schlendert, entspannte Klaviernoten im Gepäck, mit seiner typisch jazzigen Art mit "Renaissance" ins Bild (J. Sands und Cap passen am Mic zudem bestens zueinander), womit der Hörer sich noch auf ein großartiges Finale freuen darf: "Godspeed" ist eine unaufgeregte lyrische, selbstreflektive Großtat ("Living in the mist of these miracles / How could I not be spiritual? / And why would I edit what comes out? / And what more important could I talk about? / And I don't claim to have all the answers / I don't even know half the questions / But as we search for a cure for our cancer / We forget to reflect on our blessings"), "Future Is Now" setzt als Pendant zu "50 Years" (mit ähnlich treffsicheren Worten) einen so eindringlichen Schlusspunkt, dass G(riot)'s Instrumental mit seinem tragenden Klavierlauf und dem leicht melancholischen Saxophon vollkommen zu Recht noch eine Minute lang ausklingt. Für den Hörer gilt: Augen schließen und den Geist schweifen lassen.

Selten genug kommt es vor, dass Künstler mit ihrem Zweitling nochmal eine Steigerung hinlegen können, All Natural ist das trotz ihres ohnehin schon exzellenten Debüts gelungen. Die Gründe sind offensichtlich: Man operiert weiterhin mit kompletter künstlerischer Freiheit, die beteiligten Gäste sind alle voll auf der Höhe ihres kreativen Schaffens und die Aufteilung aus eigenen und fremden Beats ist bestens gewählt. Auch Tone's Scratches tragen sehr zum Charakter der Platte bei. Obwohl diese Scheibe ein großes Spektrum abdeckt und sowohl den Hardcore-Fanatikern, den Suchenden nach anspruchsvollen Lyrics als auch den Liebhabern von relaxten Tönen à la Lone Catalysts etwas bietet, ist sie doch in sich geschlossen, geleitet vom roten Faden, den Cap und Tone selbst auslegen, was "Second Nature" atmosphärisch abrundet. Ob man sich bei 75 Minuten Spielzeit kürzer hätte fassen können bleibt Ansichtssache, in jedem Fall hat man es hier mit einem überragend guten Album zu tun.

9.1 / 10

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