Sonntag, 26. Juni 2011

Tyler, The Creator - Goblin


Release Date:
10. Mai 2011

Label:
XL Records

Tracklist:
01. Goblin
02. Yonkers
03. Radicals
04. She (Feat. Frank Ocean)
05. Transylvania
06. Nightmare
07. Tron Cat
08. Her
09. Sandwitches (Feat. Hodgy Beats)
10. Fish / Boppin' Bitch
11. Analog (Feat. Hodgy Beats)
12. Bitch Suck Dick (Feat. Jasper Dolphin & Taco)
13. Window (Feat. Domo Genesis, Frank Ocean, Hodgy Beats & Mike G)
14. AU79
15. Golden

Review:
Was wäre die HipHop-Welt schon, wenn nicht hin und wieder ein Künstler bzw. ein neuer Stil von den meinungsmachenden Medieninstanzen zum neuen Trend gepusht würde, der dann selbige HipHop-Welt in Anhänger, schimpfende und das Genre für degenerierend erklärende Gegner sowie die Geschichte gleichgültig aussitzende Desinteressierte teilt. Hier präsentiert sich der jüngste Trend, kurz aufsummierbar als OFWGKTA (Odd Future Wolf Gang Kill Them All). Der Kopf dieser Bande aus L.A., deren Mitglieder um die 20 Jahre alt sind, nennt sich Tyler, The Creator. Und da er es nicht gerne hat, wenn man OFWGKTA so behandelt, als seien sie von heute auf morgen auf der Bildfläche erschienen, sei erwähnt, dass die Truppe schon seit 2007 Musik macht und dass Tyler mit 17 Jahren und Ende 2009 sein Debüt "Bastard" veröffentlichte, welches dann maßgeblich dazu beitrug, dass sich über das Jahr 2010 von Blog zu Blog langsam aber sicher ein Hype aufbaute. 2011 steht er bei XL Records unter Vertrag und wappnet sich für seinen Zweitling, "Goblin".

WRITTEN FOR Rap4Fame
 
Wer schon früh auf den Trend-Zug aufgesprungen ist, der weiß bereits, was die OFWGKTA musikalisch so treibt und wieso sie mancherorts so gepriesen wird; für den Großteil der Hörerschaft wird jedoch (wenn überhaupt) "Goblin" die erste Auseinandersetzung mit einem Album aus diesem Kollektiv sein, wenngleich einige Dinge, die hier zu hören sind, Kenntnis des älteren Materials, welches großteils zum kostenlosen Download auf der eigenen Bandseite bereitgestellt wird, fordert. Doch schön der Reihe nach: Tyler, The Creator ist in gewisser Hinsicht wohl kein zu ungewöhnlicher schwarzer Teenager aus L.A., der in seiner Crew gewisse Umgangstöne und Ausdrücke (die sich durch ihre besonders unverfrorene und verkommene Art hervorheben) pflegt und diese in seine Musik importiert. Außerdem besitzt er ein Stimmorgan, das mit seiner überraschenden Tiefe schnell im Gedächtnis bleibt, weswegen die unspektakuläre technische Vortragsweise nicht groß stört. Noch eigener ist allerdings der Sound der Truppe, der vom Einzug von Electronica-Einflüssen in die HipHop-Szene geprägt ist, in seiner Machart aber weder der Sanftheit eines KiD CuDi noch dem Wesen irgendwelchen Hipster-Gelumps ähnelt. Tyler klingt hart, roh und findet genau so seine ganz eigene Lichtung zwischen der überwiegenden Austauschbarkeit populären HipHops. "Goblin" ist außerdem ein sehr persönliches Album, was aber mehr an der Tatsache liegt, dass Tyler sich nicht mit anderen Dingen beschäftigt als den kranken Gedanken, die er in den Kreisen der OFWGKTA aufkocht, sowie dem, was sein Leben gerade bewegt. In letzterer Kategorie hat sich mit zunehmendem Ruhm eine neue Sparte gebildet, in der Tyler sich mit dem Bild, das die Welt von ihm hat, beschäftigen kann. Genau das tut der eröffnende Titeltrack "Goblin", der als Unterhaltung mit dem schon aus "Bastard" bekannten Therapeuten Dr. TC aufgezogen ist. Über einen langsamen, schleppenden Beat stellt sich Tyler in knappen sieben Minuten vor, befasst sich mit dem ungewohnten Ruhm, dem Rampenlicht, das ihn mehr als seine Crew-Kollegen trifft, den Medien, die seine Musik falsch kategorisieren und ihm den Erfolg nicht vergönnen, um dann zu dem Ergebnis zu kommen, dass sich die ihn verurteilende Umwelt doch bitte gepflegt selbst ficken soll. Der Song funktioniert erstaunlich gut, ebenso wie das schnarrende "Yonkers", eine mit Widersprüchlichkeiten vollgepackte Auseinandersetzung zwischen Tyler und seiner erfundenen zweiten Persönlichkeit Wolf Haley, die im Übrigen als Regisseur zum zugehörigen Video gelistet ist. Textlich wird sehr schnell klar, dass Tyler gerne aneckt ("Oh, not again! Another critic writing report / I'm stabbing any blogging faggot hipster with a Pitchfork") - B.o.B und Bruno Mars wird mal ebenso nebenbei der Tod gewünscht, den Terminus faggot gebraucht man so intensiv wie die deutsche Jugend das sinnentfremdet genutzte "schwul". Darüber hinaus scheint es in der OFWGKTA gang und gäbe zu sein, Vergewaltigungs-Witze zu reißen. Dass Tyler für derartige Äußerungen schon auf "Bastard" (vollkommen zu Recht) kräftig Kritik erntete, verwundert kaum, dass er dann aber die Notwendigkeit sieht, Songs wie "Radicals", das in der Hook mit einem plumpen "Kill people! Burn shit! Fuck school!" um sich wirft, dadurch zu entkräften, dass alles Gesagte nur Fiktion sei, zeugt davon, dass ihm wohl doch nicht alles scheißegal ist, wenngleich später die (auch diesmal weder lustigen noch sinnvoll eingesetzten) Vergewaltigungs-Phantasien wieder aufgegriffen werden. Der Kern dieser Provokationen sei, das zu sagen, was einem in den Sinn komme und auf Konventionen nichts zu geben. Das wird nun jedem unterschiedlich gefallen, in jedem Fall hat "Goblin" nüchtern betrachtet einen teils sehr hörenswerten, aber doch recht geringen lyrischen Nährwert, der erst dann aufgebauscht wird, wenn popelige Redakteure anfangen, ihre Interpretations(un-)fähigkeiten ins Spiel zu bringen. Das ließe sich alles problemlos verkraften, und anfangs ist das Album gerade durch seine Disparität, den Minimalismus der Beats und seine skandalöse Art schwer interessant: Das düstere "Transylvania" macht ebenso Spaß wie das ordentlich auf die Kacke hauende "Tron Cat" ("Wolves, I know you heard of us, we're murderous / And young enough to get the fucking priest to come and flirt with us") oder "She" und "Her", die Tyler's Interaktionen mit Frauen thematisieren und sogar eine Spur Sympathie wecken. Doch ungefähr mit dem Einsetzen von "Boppin' Bitch" erschöpft sich die Masche: Der farblose, sexistische Track wird nur noch vom miserablen "Bitch Suck Dick", in dem Tyler seine OFWGKTA-Kollegen Jasper und Taco nach unterirdisch schlechten Auftritten zu Recht erschießt, überboten. Ein Song wie das ohnehin träge "Window" stellt sich durch seine ermüdende Überlänge vollkommen ins Abseits, im instrumentalen "Au79" passiert zu wenig Sinnvolles und "Golden", das Ende der Session mit Dr. TC ("I miss the days when this was fun, but now it turned into work / And getting legal, so now I got to watch the shit that I blurt out"), kann sich schlussendlich trotz gelungener Auflösung des Therapie-Konzepts nicht mehr genug vom Rest absetzen.

Es wäre sicher interessant zu analysieren, was dazu geführt hat, dass genau Tyler und seine OFWGKTA von kompletten Niemanden zum nächsten großen Trend avancierten, nun stellt sich allerdings die Frage, ob sich dieses Phänomen dauerhaft etablieren kann oder ob es sich zu den vielen Eintagsfliegen gesellt. Gut möglich wäre das schon, denn bereits "Goblin" hat in seiner zweiten Hälfte starke Probleme mit Variationsarmut auf instrumentaler Ebene. Dazu kommen die Lyrics, die man schnell überrissen hat: Die als kaputt inszenierte und dabei doch recht normale Person Tyler kennt man inzwischen, auch die Pöbeleien und provokant Richtung Hörer geworfenen Tabuthemen (die teils einfach daneben sind und denen sowieso kein tieferer Sinn zugrunde liegt) werden in Zukunft (hoffentlich) keine kompletten Alben füllen. Tyler sollte sich also überlegen, wie er sich und seine Stimme auch weiterhin gut einsetzt, denn mit seinen Skills am Mic gewinnt er keine Blumentöpfe. All dem zum Trotz macht "Goblin" streckenweise gehörig Spaß, ist am Stück aber zu fehlerbehaftet und anstrengend. Tyler und die OFWGKTA sollten schlichtweg als das betrachtet werden, was sie sind: ein sittenloses Pack Jugendlicher, das sich genau so aufführt. Das ist weder tiefgründig noch weltbewegend und - wenngleich nicht schlecht - sicherlich keinen riesigen Hype wert.

5.0 / 10

1 Kommentar:

  1. "OFWGKTA sollten schlichtweg als das betrachtet werden, was sie sind: ein sittenloses Pack Jugendlicher, das sich genau so aufführt. Das ist weder tiefgründig noch weltbewegend und - wenngleich nicht schlecht - sicherlich keinen riesigen Hype wert."

    Besser kann man es nicht formulieren, homie.. ;-)

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