Samstag, 29. Dezember 2012

Bless 1 - Starving Artist


Release Date:
06. September 2007

Label:
Eigenvertrieb / Free Download

Tracklist:
01. A Place In The Sun (Feat. Infini)
02. Never Give Up
03. Starvin Artist
04. Angular Slang II
05. We
06. The Hunger
07. Works
08. The 7th Day
09. Return To The Source (Feat. Kissey Asplund)
10. My Existence

Review:
Wer Mitte 2007 im Chicagoer Untergrund die Augen und Ohren offenhielt, der hat eventuell von Aaron Brown alias Bless 1 gehört, der zu jener Zeit seinen ersten und bis dato einzigen echten Schritt in die Rap-Welt unternahm. Das Schreiben liegt ihm im Blut und wird seit der High School verfolgt, dort findet er auch Spaß an Freestyles und Ciphern. Doch die Versuche, sich mit lokalen Beat-Bastlern kurzzuschließen, misslingen, weswegen er sich das Produzieren selbst beibringt und außerdem via Myspace internationale Kontakte knüpft. So auch mit dem Pariser Producer Powell (alias Rhythm From Art), der ihn anschreibt, nachdem er Bless' Beats hört. Über diese Adresse bildet sich dann auch das nicht allzu lange bestehende Internet-Kollektiv Digital Invaders (u.a. mit dem Düsseldorfer Suff Daddy und dem Pariser Lokid), der wichtigste Partner bleibt allerdings Powell, mit dem er "Starving Artist" aufnimmt.
 WRITTEN FOR Rap4Fame

 Eigentlich sollte das Album schon im Juni erscheinen, doch ein (glücklicherweise ohne große Schäden überstandener) Festplatten-Crash bei Powell, der neun von zehn Beats (einer kommt von Bless selbst) beiträgt, verzögert die Sache. Die wichtigere Nachricht ist, dass "Starving Artist" kostenlos ist. Die Halbherzigkeit, mit der solche Umsonstprojekte oft angegangen werden, sollte man Bless allerdings nicht unterstellen. Ebensowenig handelt es sich um ein typisches Chicago-Release - vielleicht auch der Grund, warum es mit den Kollegen aus der Nachbarschaft nicht so recht geklappt hat. Auch mit oft in Chi-City gesehenen Battle-Raps hat Bless nichts am Hut, wie der Titel schon verrät regiert vielmehr der harte Alltag eines regulären, unterdurchschnittlich verdienenden Bürgers. Ganz recht, es geht nicht um das untugendhafte Leben eines Kleinganoven, der vom Dealer zum Rapper aufgestiegen ist, sondern schlichtweg um die Mühen von Bless als "Starving Artist", die in knappen 30 Minuten als BoomBap-Blues geschildert werden. Das umfasst eine tiefe Stimme, die mit behutsamem Flow direkt die richtige Stimmung garantiert, die mit Zeilen wie "I got a dollar in my pocket and I'm riding the train / I know you hear me homie, but you ain't feeling my pain" genährt wird. Die restlichen Tracks, die auf Powells Kappe gehen, zeichnen sich durch dumpfe Kick, eine gedrückte Atmosphäre mit fernem Lo-Fi-Charakter und sehr gefühlvolle, angemessen subtile Samples aus. "Never Give Up" verkörpert das Album fast komplett: Das graue Leben vor der eigenen Haustür aus der Sicht eines Afro-Amerikaners wird in nüchterner und doch leicht klagender Form vorgetragen, trotzdem kommt Bless zu dem Schluss, dass der alltägliche Kampf weitergehen muss. Das erkennt auch "We", das ein eindringliches Bild von Bless' deprimierender Umwelt malt, von Powell aber mit einem wunderschönen, aufmunternden Beat versehen wird. Bless selbst legt zu keinem Zeitpunkt Wert darauf, als überragender MC zu glänzen, im Sinne dieses Machwerks läge das sowieso nicht. Sein steter Flow ist es, der den Hörer in die Welt der Straßen Chicagos saugt und Songs wie "Works" auf diese Weise intensiviert. Da das Themengebiet eingeschränkt ist, sind sich einige Songs ähnlich, weswegen die weniger stark produzierten Gefahr laufen, übergangen zu werden; doch glücklicherweise ist das Grundniveau mit Ausnahme des grenzwertig kitschigen "Return To The Source" (mit einem deplatzierten Sax) hoch genug, dass Bless sich diese thematische Uniform leisten kann. So erklärt "The Hunger", woher die Affinität zum Drogen-Dealen kommt, wohingegen sich Bless selbst dieser Versuchung erwehrt, in "My Existence" schließlich wartet der krönende Abschluss, in dem Powell mit seiner besten Arbeit der LP eine verhangen-trostlose Szenerie erschafft und Bless verbittert und schwermütig nach dem tieferen Sinn fragt:

"Coveting wealth, sometimes grabs the best of me
European sedans trimmed in lacquered mahogany
Dreams of travel, snapping pictures for the memories
Side effects when working from nine to five in misery
Mechanical behavior, the clock slides forward
Punching out and then we run fast towards
Relaxation, but only if the job ain't important
Otherwise we'd rather stay because our work is rewarding
I refuse to make this journey a prison with the dollar as a warden
Holding keys to doors not open
Unequipped with all the answers, but I'm not done learning
A deep thirst got my insides burning
What's the meaning of my existence, the reason that I currently stand
Breathe air, still walking this land?
Could it be that my existence serves a purpose greater than I?
Maybe I'm just digging too deep for why
"

Inzwischen hat sich Bless eher dem Produzieren von Musik für Video-Essays zugewendet, doch man kann nur hoffen, dass der Emcee aus der Westside Chicagos nochmal ein Projekt wie dieses hier angeht, denn es ist überraschend gut. Natürlich eignet es sich mehr für den Einzelnen, natürlich muss man in der entsprechenden Stimmung sein, denn "Starving Artist" ist der Soundtrack für die schwereren Tage des Lebens, gibt diesen aber ein ungemein gut anhörbares Gesicht. Bless 1 ist nicht der beste MC der Welt, wohl aber ein sehr wortgewandter, dessen Auftreten mehr als genug Charisma beweist. "Starving Artist" ist nicht perfekt, aber eine fenie Sache - und das nicht nur relativ dazu, dass es umsonst ist. Trotzdem gehört es zu den besten kostenlosen Releases der letzten Jahre.

6.9 / 10

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen