Montag, 15. Februar 2010

Sound Survivors - Boom Bap Blues


Release Date:
18. Juli 2008

Label:
Rapublik Records / Rough Trade

Tracklist:
Disc 1:
01. Intruth
02. Takeoff
03. Dubious
04. Sizilia Interloop
05. Culture (Feat. M-Eighty)
06. Roots
07. Mothership Interloop
08. Weltkrieg V3.0
09. One
10. It Don't Stop (By Invincible Temple)
11. Desperate
12. Drunken Monkeys (Feat. MC Spontan)

Disc 2:
01. Ego (Intro by Jeru)
02. Mehr!
03. Cool
04. Revolution (Feat. MC Mosiris)
05. Sound
06. Bewegung (Intro by Lil' Dap)
07. Time Interloop
08. Misundastood
09. Shaolin (Feat. Golden Mastah)
10. Real Interloop
11. Chillout
12. Finale

Review:
Schon die äußerlichen Gegebenheiten der Sound Survivors gehen über die durchschnittliche Rap-Truppe hinaus: Sie selbst nennen sich einen "Zusammenschluss von erfahrenen und seit langem aktiven Musikern, Produzenten, Vinyl-Junks, MCs, DJs und Graffiti-Künstlern" mit Hauptsitz in den Lost Hill Studios Süddeutschlands. Dahinter stehen - bzw. standen zur Zeit der Aufnahmen zu diesem Album - die auf deutsch rappenden Emcees Fantomas und Kalmann (Ungarn) sowie Marabou (Niger) und 2Fast Blades, deren Sprache das Französische ist. Außerdem und vielleicht am wichtigsten: Tom Select, der Produzent und DJ. Nachdem das erste Album "just loop it" einen Überblick über das bisherige Schaffen gab, ist "Boom Bap Blues", eine Doppel-CD, der erste vollwertige Longplayer der Gruppierung.

WRITTEN FOR Rap4Fame
 
Ein ellenlanger Pressetext führt die Sound Survivors, deren Name sich aus Pete Rock's Album ableitet, gegen sämtliche Laster der momentanen HipHop-Szene ins Feld und schreibt ihnen zudem lyrischn Anspruch zu, begleitet von einem Sound, der mit seinem roughen Charakter zwischen Madlib und Wu-Tang treibe. Sorge dafür tragen gemeinsame, intensive Sutdiosessions, deren in gemeinsamer Arbeit geschaffene Erzeugnisse möglichst unmodifiziert ihren Weg auf den Silberling fänden, um den jeweiligen Vibe widerzuspiegeln. So weit, so gut - bei einem Albumtitel wie "Boom Bap Blues" (und außerdem einem mäßig attraktiven Photoshop-Cover) muss natürlich auch noch bewiesen werden, dass hier nicht irgendwelche Renaissance-Rapper die große Fahne schwenken, dann aber mit ihrer Musik nur ein verstaubter Spiegel einer vergangenen Ära sind. Doch mit dieser Unterstellung machen die Sound Survivors schnell kurzen Prozess, bzw. erledigt das Tom Select bereits mit seinem "Intruth" Intro: Lockere Klänge begrüßen den Hörer, die natürlich in BoomBap getränkt sind und die auch die Marschrichtung für das gesamte Album angeben. Denn meistens lässt Tom Select es eher ruhig angehen, wirft nur ab und an atmosphärische Wechsel ein, doch versteht er sein Handwerk so gut, dass sein Konzept voll und ganz aufgeht. Soundmäßig hat man es also mit unaufgeregtem, souligem BoomBap mit dicken Basslines zu tun, der sich in "Dubios" bis zu Dub-Einflüssen erstreckt. Um nun die Leistung der Emcees zu beurteilen, muss man klar in zwei Kategorien einteilen: Inhalt und Technik. All jene, die Wert auf einen handfesten, sauberen Flow sowie technische Korrektheit legen, die werden beim Erklingen von "Takeoff" Augen machen: In erster Linie fällt es natürlich bei Fantomas und Kalmann auf, doch auch die sprachlichen Nachbarn sind alles andere als Flow-Götter. Naheliegenderweise sei jedoch nun auf die deutsche Hälfte Bezug genommen. Die dort beizeiten auftretende Diskrepanz zwischen der richtigen und der tatsächlichen Anzahl an Silben pro Zeile schmerzt ein wenig. Der Flow holpert, was sich direkt auf das Charisma auswirkt und zusammenfassend die Performance in Sphären zwingt, die sich mit anderen professionellen Spittern nicht messen kann. Doch nun zum Inhalt: Hier muss man seinen Respekt kundtun, da sowohl Fantomas als auch Kalmann den Hörer mit einer Sintflut aus wenig alltäglichen Worten, die sich aus diversesten Themengebieten rekrutieren, konfrontieren. Es darf angenommen werden, dass die Sound Survivors über ein gesättigtes Allgemeinwissen verfügen, für gewisse Themen jedoch besonderes Interesse hegen, nämlich Politik (wobei die eigene, von mir als antikapitalistisch geschätzte Meinung dem Hörer nie aufgedrängt wird), die Gala sämtlicher Verschwörungstheorien und deren Rattenschwänze, Mythologie sowie Exo- und Esoterik. "Culture" und "Roots" (das hier verwendete Sample sollte allen Capital D Fans bekannt sein) widmen sich allerdings noch dem eigenen Genre, "Weltkrieg V3.0" schickt dann über dichte Streicher-Samples die Welt gen Untergang, während die Weltpolitik mit sarkastischen Farben skizziert wird. In diesem Zug ist es unerlässlich, das nach dem minimalistischen 90s-Tribut "Cool" losdonnernde "Revolution" zu erwähnen, das unantastbare Highlight dieses Schaffenswerks. Hier beschwört Tom Select ein Instrumental, das an Dramaturgie kaum zu übertreffen ist und nach kurzen Pausen immer wieder von neuem aufbraust. Für ihre Revolution heuern die Sound Survivors wirklich alles an, was ihnen unter die Finger kommt: Totenkopfverbände (wobei hier nichts falsch interpretiert werden sollte) folgen den Mic-Propheten ebenso wie die mythischen Lemuren oder die Taliban. Unter anderem muss selbst das Neuschwabenland herhalten, während das Ganze von einem einminütigen Martin Luther King Sample eingeleitet wird.

"Live und direkt aus den Randbezirken
Es beginnen Bandenkriege, angetrieben vom Paukenschlag der Stammesriten
[...]
Aus der Tiefe gekrochen, sieben Siegel gebrochen
Nach Jahren der Entsagung lohnt's aber wieder zu hoffen
Krieger der Sonne, gekommen, um zu expandieren
Während im Gefecht Felle der Trommeln explodieren
Planeten kollidieren, Raketen detonieren
Von den Vogesen bis Neuseeland, Armeen, die marschieren
"

Sechseinhalb Minuten wütet dieser monumentale Track, was gleich zur nächsten Eigenschaft der Scheibe führt: Tracklängen wie diese sind keine Seltenheit, selbst ein mit Vocal-Sample überzogenes Instrumental wie "Desperate" kommt mit fünf Minuten nicht gerade kurz. Da kann es natürlich anstrengend werden, sich über diesen Zeitraum die Kost der Emcees anzutun, zumal sich der Eintopf aus Wortschnipseln verschiedenster Herkunftsbereiche oftmals der rationalen Nachvollziehbarkeit entzieht und sich lediglich in abstraktem Wortgestapel ergeht, wobei es immer Spaß macht, dem jeweiligen Emcee zu folgen, ohne den Anschluss zu verlieren, und dabei auch noch Denkanstöße zu erhalten oder zumindest über Worte zu stolpern, die man nachschlagen muss. Während man wieterhin einige Samples kennt, tun sich vor allem das "Mothership" sowie das "Time Interloop" hervor. Bezüglich der Gäste scheint man sich mit Gleichen umgeben zu wollen: M-Eighty ist bekannt dafür, ein weitaus besserer A&R als Rapper zu sein, während auch der aus Chicago stammende Invincible Temple, der auf dem von SnakeVsCrane produzierten "It Don't Stop" ein Sologastspiel führt, sehr gewöhnungsbedürftig daherkommt. Die beiden Veteranen sprechen nur jeweils ein Intro, wobei Jeru "Knowledge Of Self" predigt und sich Lil Dap als überflüssig erweist. Dass in "Bewegung" zudem Ulrike Meinhof gesampelt (und dabei nicht kritisiert) wird, versalzt die sonst leckere Suppe kräftig. Nachdem die Survivors bewiesen haben, dass sie auch in fernöstlichen Gefilden Profis sind, gönnt man sich ein "Chillout", um dann mit dem achtminütigen "Finale" abzuschließen.

Bei manchen Alben ist es notwendig, weiter auszuholen, da sie genau das verlangen, um voll und ganz erfasst zu werden. So ein Album ist "Boom Bap Blues". Denn diese LP ist ein Unternehmen, das Zeit erfordert. Das sagt einem nicht nur das eigene Gefühl - mit einer Stunde und 50 Minuten Gesamtspielzeit tanzt die Doppel-CD wirklich aus der Reihe und ist als Ganzes schwer zu bewältigen. Und es ist nicht so, dass man sich nicht hätte kürzer fassen können - die enormen Tracklängen wurden schon erwähnt. Zusammen mit den technischen Mängeln der Emcees hat man hier die einzigen ernsthaften Kritikpunkte. Da sich die Sound Survivors wohl aber so schnell nicht ändern werden, bleiben sie ein Tipp für diejenigen, die bei der Beschreibung der Lyrics hellhörig wurden. Als einmalige Investition und als Demonstration, welche Netze sich mit Worten spinnen lassen, seien diese Gruppe und "Boom Bap Blues" allerdings jedem ans Herz gelegt - zumal sämtliche Einnahmen (u.a. an "Deine Stimme gegen Armut") gespendet werden.

6.1 / 10

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